Das Mädchen aus Mantua
hatte. Wenn sie noch länger hier vor ihm stehen blieb, würde er womöglich anfangen, sich über die ungewöhnliche Ähnlichkeit zwischen Marino und Celestina zu wundern.
»Ich muss wieder nach oben an meinen Platz«, behauptete sie.
Er hielt sie auf. »Eins noch. Es fällt auf, dass der Tote da unten nicht an Gift gestorben ist, nicht wahr?«
»Daran dachte ich auch schon. Es passt nicht zu den übrigen Fällen. Vielleicht hat er sich wirklich umgebracht.«
»Die Möglichkeit besteht«, räumte Vitale ein. »Ihr solltet es herausfinden.«
»Aber wie?«
»Indem Ihr Euch die Leiche näher anseht, sobald der Professor für heute damit fertig ist. Ich habe erfahren, dass der Professor den Doktoranden der Anatomie gestattet, nach der öffentlichen Vorführung die Präparate im Leichenraum zu betrachten und zu untersuchen. Schließt Euch denen an, die davon Gebrauch machen.«
Das hatte Celestina ohnehin vorgehabt, allerdings bezweifelte sie, dass sie dabei Gelegenheit bekäme, unauffällig den Leichnam zu begutachten. Doch ihre Neugier war geweckt, denn Vitale schien davon überzeugt zu sein, dass der Wanderarzt nicht von eigener Hand gestorben war, und ein inneres Gefühl sagte ihr, dass er damit recht hatte.
»Ich will es versuchen«, sagte sie.
Vitale lächelte. »Ihr seid ein Kerl nach meinem Herzen!«
Nach einer Stunde legte der Professor eine Pause ein. Ein Teil der Besucher verließ das Teatro Anatomico, das schuf Platz auf den Rängen und für die verbliebenen Zuschauer eine bessere Sicht.
Celestina und Timoteo nutzten die Gelegenheit, sich gemeinsam davonzustehlen. Sie gingen nach unten in den Innenhof, wo sie sich eine halbwegs stille Ecke zum ungestörten Reden suchten. Hinter einer der Säulen blieben sie stehen und blickten einander atemlos an. Sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, die Hände bei sich zu behalten. Ihr erging es nicht anders. Es tat fast körperlich weh, ihn nicht umarmen zu können. Doch dies war fraglos nicht der Augenblick, sich unnütz in Gefahr zu begeben, also trat sie rasch einen Schritt zurück, um den Abstand zwischen ihnen beiden auf ein zuträgliches Maß zu vergrößern.
»Hast du Angst vor mir?«, fragte er irritiert.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, vor mir.«
Timoteo holte tief Luft, dann schien ihm wieder einzufallen, worüber er eigentlich sprechen wollte. »Was wollte der Capitano von dir?«
Sie berichtete es ihm, worauf er sofort sagte: »Kommt nicht infrage. Du hältst dich fern von diesem stinkenden Leichenfledderer Gianbattista.«
»Keine Sorge, ich achte darauf, nicht mit ihm allein zu sein. Du kannst ja in meiner Nähe bleiben.«
Timoteo runzelte die Stirn. »Wie kommt der Kerl überhaupt dazu, dich einfach so mir nichts dir nichts für seine Zwecke einzuspannen?«
Celestina biss sich auf die Unterlippe. Sie konnte ihm unmöglich die volle Wahrheit sagen, ohne ihm zu verraten, dass Vitale Arcangelas Liebhaber war. Er würde es nicht für sich behalten. Galeazzo war sein bester Freund. Timoteo würde sich verpflichtet fühlen, ihn über den Nebenbuhler aufzuklären, so wie seinerzeit Galeazzo umgekehrt ihn darauf gestoßen hatte, woher Chiaras plötzliche Heiratswilligkeit rührte.
»Er hat mich im Spital gesehen«, sagte sie daher wahrheitsgemäß. »Ihm fiel meine Ähnlichkeit mit … ähm, mit Celestina auf.«
»Woher kennt er Celestina?«, wollte Timoteo misstrauisch wissen.
Auch hier konnte sie bei der Wahrheit bleiben. »Er hat am Tage unserer Ankunft in Padua die umgestürzte Kutsche wegschaffen lassen und unser Gepäck zu den Bertolucci gekarrt, so kamen wir ins Gespräch.«
»Und das reicht ihm als Grund, dich als Spion zu verpflichten? Sagtest du nicht vorhin, Arcangela habe dir das eingebrockt? Was hat sie damit zu tun?«
»Äh … er traf sie irgendwo, und sie sprachen über mich. Genauer, über Marino. Den er im Spital beobachtet hatte. Arcangela erzählte ihm, dass ich … hm, dass Marino Medizin studiert. Und da meinte der Capitano, das käme ihm gut zupass, denn er könne meine Hilfe bei Ermittlungen brauchen. Vermutlich erschien es ihm einfach einleuchtend, mich hinzuzuziehen, nachdem er erfahren hatte, dass ich sowohl im Spital als auch in der Universität zu tun habe.«
»Hm, das scheint wirklich einleuchtend«, sagte Timoteo nachdenklich. »Es muss tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Anatomie und Spital geben. Die Toten waren allesamt als Patienten dort. Aber wie passt Gianbattista in dieses
Weitere Kostenlose Bücher