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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Galeazzo sie, während er den Capitano scharf ins Auge fasste.
    »Äh … da musst du dich verhört haben«, behauptete sie, während sie sich hastig an ihm vorbeischob.
    »Warte doch!«
    »Keine Zeit.« Sie ließ ihn stehen und stieg die hölzernen Stufen zu den tiefer liegenden Rängen hinab, bis sie die Plattform erreicht hatte, auf der sich Vitale befand. Er hatte an der Treppe Posten bezogen und wartete auf sie.
    »Ah, gut dass Ihr kommt, ich wollte gerade zu Euch hinaufsteigen. Ihr seid Marino da Rapallo, nicht wahr? Der Bruder von Monna Ruzzini und Monna Arcangela.«
    »Ganz recht. Ich sah Euer Winken. Was wollt Ihr von mir?«, erkundigte sich Celestina mit möglichst tiefer Stimme. Sie war froh, dass es hier im Treppenaufgang so dunkel war.
    »Eure Schwester hat Euch sicher berichtet, dass ich Euch wegen der Anatomieleichen sprechen wollte. Aufgrund der ungewöhnlichen Todesfälle und wegen möglicher Zusammenhänge.«
    »Sie sprach davon«, sagte Celestina vorsichtig. »Sie berichtete mir auch von Euren Ermittlungen. Aber ich sehe nicht, was ich für Euch tun kann.«
    »Das ist ganz einfach, junger Mann. Ihr sollt die Augen offen halten.«
    »Ihr meint – hier in der Anatomie? Habt Ihr bestimmte Personen in Verdacht?«
    Vitale nickte. Sein dunkler Schnurrbart hatte im schwachen Widerschein des von unten heraufleuchtenden Kerzenlichts einen metallischen Schimmer, ebenso wie seine Augen. Mit gedämpfter Stimme sagte er: »Der Prosektor. Er hat Schulden und braucht Geld.«
    »Ich weiß«, sagte Celestina unvorsichtigerweise.
    »Woher?«, wollte Vitale prompt wissen.
    »Oh … ähm, ich hörte die Studenten davon reden.«
    Vitale blickte hinunter zu der Leiche, die gerade Stück für Stück ausgehöhlt wurde. »Ich habe mich beim Pedell erkundigt. Für die Herbeischaffung von anatomiefähigen Toten wird vom Lehrstuhl eine Art Handgeld gezahlt, der Prosektor hat dieses Jahr schon ein hübsches Sümmchen daran verdient. Wann immer ein Selbstmörder in der Stadt aufgefunden wird – dieser Gianbattista ist jedes Mal einer der Ersten, die zur Stelle sind. Seine Aufgabe besteht darin, den Anspruch der Universität auf den Leichnam behördlich geltend zu machen und die Verbringung zur Anatomie zu veranlassen. So auch gestern. Wir hatten den Toten kaum entdeckt und in die Stadt zurückgebracht, als er auch schon auftauchte, sich auf den Erlass der Obrigkeit zur Anatomierung von ruchlosen, nicht ansässigen Selbstmördern berief und die Totengräber daran hinderte, die Leiche fortzuschaffen.«
    »Soll ich ihn für Euch aushorchen?«
    »Nicht nur das. Ihr sollt seine Gesellschaft suchen und auf diese Weise herausfinden, mit wem er sich trifft und mit wem er spricht.«
    »Wie soll ich das anstellen?«
    »Indem Ihr Euch für Hilfsdienste zur Verfügung stellt. Ich habe herausgefunden, dass er vorzugsweise die Studenten als Handlanger heranzieht, die sich gerade unvorsichtigerweise in seiner Nähe aufhalten, wenn lästige Arbeiten zu vergeben sind.«
    Diese Erfahrung hatte Celestina auch schon machen müssen, sie widersprach daher nicht, obwohl es sie schauderte bei dem Gedanken, sich an Gianbattistas Fersen zu heften. Doch schließlich hatte sie sogar schon einmal mit dem Prosektor gezecht, um sich mit seiner Hilfe Zutritt zum Teatro Anatomico und zum Leichenraum zu verschaffen. Ähnliches würde sie fraglos auch noch einmal überstehen, wenn es denn half, ihn auszuspionieren.
    »Ich werde mein Bestes versuchen«, versprach sie.
    »Das ehrt Euch und hilft mir sicher weiter«, sagte Vitale zufrieden. Er betrachtete sie neugierig und deutete dann nach unten in Richtung Schaufläche. »Was bringt einen jungen Mann wie Euch dazu, sich diesem äußerst blutigen Handwerk zu widmen?«
    »Äh … mir liegt viel an der Wissenschaft.« Im Augenblick war ihr allerdings vornehmlich daran gelegen, so schnell wie möglich der Gesellschaft Vitales zu entfliehen. Der Capitano hatte ein gewinnendes Wesen, von seinem angenehmen Äußeren ganz zu schweigen; sie konnte ihre Stiefschwester gut verstehen. Aber er hatte auch scharfe Augen und einen wachen Verstand. Und er war einer der wenigen, die sie schon aus nächster Nähe als Frau gesehen hatten, bei hellem Sonnenschein, ohne Haube und Schleier, gleich an ihrem ersten Tag in der Stadt. Zwar hatte er nur Augen für Arcangela gehabt, doch der eine oder andere Blick hatte sicherlich auch ihr gegolten, als er sie und Arcangela mitsamt ihrem Gepäck zum Haus der Bertolucci begleitet

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