Das Mädchen aus Mantua
ebenfalls sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass ihm so unverhofft eine Leiche zur Verfügung stand.
»Es nimmt wunder, dass wir in diesem Jahr schon so viele menschliche Präparationsobjekte auf diesem Tisch liegen hatten.«
Celestina fand, dass dies eine sehr wissenschaftliche Umschreibung für eine schlichte Leiche war.
»Aber wir wollen uns nicht beklagen«, fuhr der Professor fort. »Denn es dient einem höheren Zweck: der Wissenschaft.« Er deutete auf den mit einem Tuch abgedeckten Körper, der vor ihm auf dem Sektionstisch lag. »Dieser durch eigene Hand Verblichene wird den anwesenden Scholaren helfen, bessere Ärzte zu werden. Und den ebenfalls hier weilenden Zuschauern, Einblicke zu gewinnen in die ärztliche Kunst und das Innere des menschlichen Körpers.«
Neben den Scholaren waren etliche fachfremde Zuschauer erschienen, die sich auf den Rängen drängten. Offenbar hatte es sich blitzschnell herumgesprochen, dass an diesem Morgen eine Sektion stattfand. Ohne Frage wurde dieses Spektakel als hoch willkommene Abwechslung betrachtet. Celestina, die zwischen William und Timoteo im dritten Rang stand, blickte sich verstohlen um. Einige Zuschauer gehörten ersichtlich den Honoratioren Paduas an, wohlhabende Bürger, die vermutlich in der Stadtverwaltung tätig waren und somit Kenntnis von der Sektion bekommen hatten. Zwei oder drei von ihnen hatten ihre elegant gekleideten Gattinnen mitgebracht, für die das bevorstehende Ereignis ein aufregender Zeitvertreib war.
Unter den Zuschauern bemerkte Celestina einige, die sie schon in der Kirche gesehen hatte, und unwillkürlich zog sie die Kappe tiefer in die Stirn, doch keiner dieser Besucher beachtete sie. Alle blickten gespannt zur Schaufläche hinab. Den Löwenanteil der Anwesenden aber bildeten diejenigen, die zur Universität gehörten, sowohl Studenten als auch Dozenten, wobei diese sich nicht allein auf die Fachrichtung der Medizin beschränkten.
Celestina zuckte zusammen, denn soeben hatte sie jemanden entdeckt, den sie hier nicht erwartet hatte.
Unter den Zuschauern, die unten auf dem ersten Rang standen, befand sich Capitano Vitale Manzini.
Sie machte sich möglichst klein, doch zum Glück wandte er sich nicht zu ihr um, sondern hielt seine Blicke auf das Oval der Arena gerichtet.
Dort stand neben Professor Fabrizio der Prosektor Gianbattista. Sein kahler Schädel schimmerte im Licht der Kerzen, um seine Lippen lag die Andeutung eines Lächelns, als sei er zufrieden, endlich wieder seines Amtes walten zu können. Außer ihm war ein weiterer Gehilfe zugegen, der für das Säubern und Bereitlegen der Instrumente zuständig war und der die Leichen für die Präparation vorbereitete – hierzu gehörten etwa das Säubern des Körpers und das Rasieren des Schädels.
Der Professor trat vor und zog mit raschem Schwung das Tuch von dem ausgestreckt daliegenden Körper, eine bedachte Vorgehensweise, mit der er die in der Luft liegende Spannung mit einem Schlag dem Höhepunkt entgegentrieb. Ein allseitiges Raunen und Seufzen erhob sich auf den Rängen, unterbrochen vom spitzen Aufschrei einer der anwesenden Frauen, auch das ein nicht unerwünschter Beitrag zur sensationslüsternen Atmosphäre, die diese öffentlichen Sektionen so beliebt machte, weil sie auf unterhaltsame Weise die Wissenschaft mit einer ungewöhnlichen Zerstreuung verband.
Gleich darauf zeigte sich jedoch, dass der Professor der Wissenschaft den Vorzug gab. In wohlformuliertem Latein begann er zu dozieren.
»Ein Mann um die vierzig, gestorben durch Erhängen von eigener Hand, weshalb er als erwiesener Selbstmörder ohne venezianisches Bürgerrecht von den Behörden zur öffentlichen Sektion freigegeben werden musste.«
Celestina starrte fassungslos den Toten an. Sie kannte ihn, er war der Wanderarzt Filiberto, der auf der Piazza den Narrenstein geschnitten hatte. Noch vor wenigen Wochen hatte sie ihn im Spital gesehen, als Patienten. Er hatte im benachbarten Bett gelegen, als sie Arcangela dort besucht hatte. Ihre Stiefschwester hatte ihr von ihm erzählt.
»Ja, ich weiß, man sagt ihm nach, dass er ein Scharlatan sei«, hatte sie gesagt. »Deshalb hat er ja auch diese fürchterlichen Prügel bezogen. Aber ich glaube, er ist ein ganz ordentlicher Arzt. Er wusste sehr viel über die Medizin. Armer Kerl, er hatte eine Menge Knochen gebrochen und bei dem hinterhältigen Überfall ungefähr ein halbes Dutzend Zähne verloren. Ich hoffe, er findet seinen treulosen Assistenten, der
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