Das Mädchen aus Mantua
Rücken gekniet, um ihn unten zu halten, während er ihn erdrosselte.« Er schluckte und zog sich den Strick herunter, der immer noch an seinem Hals hing. Erschüttert betrachtete er den Toten.
William nickte. »So muss es gewesen sein.«
»Friede seiner armen Seele.« Timoteo bekreuzigte sich, dann rollte er behutsam den toten Wanderarzt wieder auf den Rücken und breitete das Tuch über ihn. »Jetzt sind wir wenigstens einen Schritt weiter.«
»Weiter womit?«, erkundigte sich Galeazzo.
»Mit unseren Maßnahmen, den Mörder zu finden«, erklärte Celestina.
»Müssen wir den denn unbedingt finden?«, fragte Galeazzo besorgt. »Ich meine – he! Der Kerl geht über Leichen! Buchstäblich!«
Er zog den Kopf ein, als ihn von drei Seiten gleichzeitig strafende Blicke trafen.
»Ja, schon gut! Ich sag nichts mehr. Aber beklagt euch später nicht bei mir, wenn der Mörder seine eigenen Maßnahmen ergreift. Womöglich gegen uns.«
Dieses Thema erörterten sie nicht weiter. Neue Pläne mussten ohnehin erst noch geschmiedet werden. Für diese Nacht hatten sie genug getan. Einstweilen wusste keiner von ihnen, wie es weitergehen sollte.
Eine Woche später, Ende Oktober
Der fortschreitende Herbst brachte noch kältere Tage, eisigere Winde und beständiges Regenwetter. Wer nicht hinausmusste, um zu arbeiten, blieb tunlichst im Haus beim warmen Ofen oder vor dem Kaminfeuer.
Celestina hingegen ging unverdrossen jeden Tag weiterhin zur Universität. Der unwirtlichen Witterung zum Trotz stand sie beim Morgenläuten auf, zog sich Frauenkleidung an, eilte bei Wind und Wetter zum Spital und verwandelte sich mit geübten Handgriffen in Marino, den Studenten. Am späten Nachmittag, wenn alle Vorlesungen und das Repetitorium vorbei waren, kehrte sie dorthin zurück und wurde wieder zu Celestina Ruzzini, der mildtätigen Witwe aus Mantua, deren Anliegen es war, den Kranken zu helfen. Die Schauspielerei, die rasche Verwandlung und das fortwährende Versteckspiel wurden gleichsam zu ihrer zweiten Natur, mindestens aber zum festen Bestandteil ihres Alltags. Sie lernte, mit raschen Blicken alle Richtungen zu erfassen, die jeweilige Gefahrenlage abzuschätzen und ihr Verhalten danach zu bestimmen. Mit der Zeit entwickelte sie einen sechsten Sinn dafür, ob jemand gerade zu ihr hinsah oder ob die Luft rein war. Einem Chamäleon gleich, schaffte sie es immer wieder, unauffällig mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. In nichts sagende, gedeckte Farben gekleidet, die Stoffe grau oder schwarz, alles schmucklos und unförmig geschnitten – mit ihrer Aufmachung lenkte sie nur selten einen zweiten Blick auf sich.
Die Doktoranden kannten sie mittlerweile alle als Marino aus Mantua. Es gab Neider, weil sich herumgesprochen hatte, dass ihr ein Stipendium bewilligt werden sollte. Professor Fabrizio hatte sie in den engen Kreis der von ihm favorisierten Zöglinge aufgenommen, was sich daran zeigte, dass er nach den Vorlesungen gern mit ihr über seine Forschungen disputierte.
Baldo und etliche der anderen verhöhnten sie hinter ihrem Rücken, nicht nur wegen ihres Lerneifers, sondern vor allem, weil sie davon überzeugt waren, sie sei ein verfluchter Päderast – diesen Ausdruck hatte sie einmal im Vorübergehen aufgeschnappt –, und diese Ansicht hatte sich dahingehend verfestigt, dass man unter den Kommilitonen größtenteils davon ausging, Marino da Rapallo und Timoteo Caliari teilten gewisse anrüchige Vorlieben. Celestina konnte es ihnen nicht verdenken. Timoteo und sie taten nichts, um diesen Verdacht zu zerstreuen, auch wenn sie es gelegentlich halbherzig versuchten. Doch die Blicke, die sie einander zuwarfen, die Gespräche, die sie in den Pausen hinter den Säulen miteinander führten – was sollten die anderen denn sonst davon denken? Zumal es tatsächlich zutraf, wenn auch auf andere Weise, als auf den ersten Blick anzunehmen war.
Unterdessen lernte sie verbissen den Prüfungsstoff und nutzte jede Gelegenheit, ihr Wissen zu vertiefen, vor allem in der Anatomie. Sie las immer wieder in ihren Büchern, bis sie die betreffenden Abschnitte auswendig hätte herunterbeten können. Aus der Bibliothek der Universität lieh sie weitere Bände aus, die sie noch nicht kannte. Während der Mittagspause, wenn die anderen zum Essen weggingen, saß sie im Lesesaal, studierte die Illustrationen, erstellte Listen unterschiedlicher Lehrmeinungen, notierte eigene Schlussfolgerungen.
Der Sektion des Wanderarztes hatte sie bis zum bitteren Ende
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