Das Mädchen aus Mantua
ist dergleichen sehr gefährlich. Es kann niemand wollen, dass Chiara etwas zustößt.«
Celestina hatte den Eindruck, dass es für ihn keineswegs das Schlimmste auf Erden wäre, wenn Chiaras Gesundheit Schaden nahm, doch sie wollte das nicht weiter hinterfragen. »Es tut mir leid, aber ich sehe nicht, worauf du hinauswillst. Sie soll Giovanni nicht heiraten, weil er sie nicht liebt. Timoteo Caliari scheidet als Ehemann ebenso aus, weil er nicht der Vater ist. Das Kind bekommt sie aber trotzdem – wie soll sie dieser Schande deiner Ansicht nach entgehen? Hast du etwa einen anderen Mann für sie aufgetrieben?«
Zu ihrer Überraschung nickte er. »In der Tat.« Ein lausbubenhaftes Grinsen trat auf sein Gesicht. »Unseren Herrn, Jesus Christus.«
Sie verstand. »Du meinst, Chiara soll den Schleier nehmen?
Wieder nickte er, diesmal eifriger. »Aber ja! Es ist die Lösung! Im Kloster wäre sie gut untergebracht. Ich weiß, dass viele edle junge Damen dort hingehen, weil sie ein sittenstrenges und frommes Leben führen wollen, ganz nah bei Jesus.« Erneut errötete er. »Und ich weiß auch, dass etliche von ihnen in der heimlichen Abgeschiedenheit des Frauenklosters Kinder zur Welt bringen. Die Nonnen helfen ihnen dabei und geben die Kinder ins Findelhaus, wo sie umsorgt werden.«
»Du hast deiner Schwester also das Schicksal einer Nonne zugedacht?«, erkundigte Celestina sich, bemüht, sich ihre Erheiterung nicht anmerken zu lassen.
»Du sagst das, als wolle ich sie einsperren lassen«, beschwerte sich Guido.
Das hatte sie in der Tat gedacht, und allem Anschein nach traf es auch zu. Er wollte Chiara auf möglichst schonende und rasche Weise loswerden, vor allem aber wollte er, dass sie aufhörte, sich Hoffnungen auf Giovanni zu machen, offensichtlich, weil er selbst diesen Maler liebte, auf welche Weise auch immer.
Celestina betrachtete ihren jungen Cousin nicht ohne Mitleid, und zum ersten Mal erkannte sie, was für eine schlimme Zeit er in den letzten Monaten durchgemacht haben musste. Es war nicht leicht, den Wirren und Tücken der ersten großen Liebe unterworfen zu sein. Hinzu kam, dass das, was er empfand, bei schwerster Strafe verboten und allgemeiner Ächtung unterworfen war. Wie schrecklich für den armen Jungen! Von den unmöglichen familiären Konstellationen, mit denen er zurechtkommen musste, ganz zu schweigen.
»Du willst also, dass ich mit ihr über das Kloster rede. Es ihr ans Herz lege.«
Er nickte stumm und hoffnungsvoll.
Sie dachte kurz nach. Womöglich hatte er nicht einmal so unrecht. Das Kloster mochte eine Lösung für das Problem sein, es gab gut geführte Häuser, in denen es den jungen Frauen an nichts mangelte, wo sogar weltlicher Tand erlaubt war, ebenso Feiern und gutes Essen und andere lässliche Sünden, solange es nur hinter den Klostermauern verborgen blieb und sich nicht herumsprach. Besonders in Venedig kannte man solche Klöster, manche waren nachgerade berüchtigt für die lockeren Sitten, die dort herrschten. Dort wurden Seidenkleider getragen, Musikabende veranstaltet und eine vorzügliche Küche gepflegt. Es gab sogar Konvente, in denen es nicht einmal mit dem Herrenbesuch so genau genommen wurde.
Immer, wenn ihre Mutter oder ihr Stiefvater versucht hatten, ihr und Arcangela das Klosterleben schmackhaft zu machen, waren solche Andeutungen gefallen. Auch anderenorts hatte Celestina davon gehört. Für Chiara müsste es also keineswegs den Weltuntergang bedeuten, wenn sie tatsächlich in ein Kloster eintrat.
»Ich werde mit deiner Schwester reden«, versprach sie.
In seiner zerknirschten Dankbarkeit ähnelte er wieder einem kleinen Knaben, doch ihre mütterlichen Gefühle hielten sich in Grenzen, als er einen Blick auf ihre unkleidsame Frisur warf und stirnrunzelnd meinte: »Das solltest du lieber wieder unter der Haube verstecken.«
Er zuckte zusammen, denn von unten ertönte ein markerschütternder Schrei.
»Zu Hilfe!«, hörten sie Chiara kreischen. »Zu Hilfe!«
Celestina und er waren beide gleichzeitig bei der Tür, doch schon auf dem Gang hatte er ihr zwei Schritte voraus, und auf der Treppe baute er seinen Vorsprung aus.
Die Tür zum Zimmer seiner Mutter stand offen, und Chiara schaute heraus. Ihr blondes langes Haar hing ihr aufgelöst ums Gesicht, sie war schreckensbleich.
»Mutter stirbt!«, schrie sie. Mit beiden Händen griff sie nach Celestina, als wolle sie sicherstellen, dass diese nicht vorbeiging. »Komm schnell! Hilf ihr!«
Eilig lief Celestina
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