Das Mädchen aus Mantua
sich zu vergewissern, dass Lodovico wegen des lockeren Spaliers keinen Verdacht geschöpft hatte. Nun war sie froh über diese Gelegenheit, ihn zu loben und ihn in seinen Ansichten zu bestärken. Sie wusste, dass er vom Rest der Familie belächelt und verachtet wurde, weil er gern gärtnerte. Allgemein galt diese Freizeitbeschäftigung eher als weibisch. Ein richtiger Mann übte sich im Fechten oder Schießen oder ritt zur Jagd aus.
Sie konnte nicht umhin, gewisse Parallelen zu ihrer eigenen Situation herzustellen, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Eine Witwe ihres Standes würde brav daheimsitzen. Sie würde abwechselnd sticken, nähen und beten. Akzeptable andere Beschäftigungen waren vielleicht noch das Arrangieren von Blumengebinden oder das Pressen von Blüten. Keinesfalls stünde einer ehrbaren Witwe der Sinn danach, Anatomie und Chirurgie an der Universität zu studieren.
Lodovico begab sich zu einem benachbarten Kräuterbeet und prüfte die dort in bunter Vielzahl blühenden Gewächse. Hier und da rupfte er eines aus, das nicht dorthin gehörte. Schließlich blickte er zu ihr auf. »Ich weiß von der Sache mit der Universität.«
Celestina zuckte zusammen. »Wirklich?«, stammelte sie.
Ihr Onkel nickte. »Padua ist, was Neuigkeiten betrifft, ein winziges Nest.«
»Ach«, meinte Celestina verstört.
»Eins muss man diesen Caliari lassen«, fuhr Lodovico fort. »Sie haben keine Angst. Niemals. Auch nicht vor durchgehenden Gäulen.«
»Oh. Ach so.« Celestina atmete vorsichtig aus. »Ja, das war sehr mutig von dem jungen Caliari. Vor allem in Anbetracht seiner Behinderung.« Neugierig fragte sie: »Woher hat er eigentlich das lahme Bein?«
»Eine Schussverletzung. Er war Offizier im Dienste der Republik. Man sagt, er hätte ein ordentlicher Condottiere 2 werden können. Als er angeschossen wurde, war es natürlich mit der Militärlaufbahn vorbei. Danach sollte er zur Geistlichkeit wechseln, so wie es sich gehört hätte für einen Zweitgeborenen, der zum Waffendienst nichts taugt. Aber er weigerte sich und konnte seine Familie überreden, ihn studieren zu lassen.«
»Was bestimmt nicht einfach war«, meinte Celestina. »Schon weil es nicht gerade billig ist.«
»Der venezianische Rat hat ihm ein Stipendium bewilligt, wegen der im Krieg erworbenen Verdienste. Natürlich hätte er die Juristische Fakultät wählen sollen, schließlich gilt das als Königsdisziplin unter allen Wissenschaften. Doch er will ein Doktor der Medizin werden.«
»Du bist sehr gut über die Hintergründe informiert, wie kommt das?« Nicht nur deswegen war Celestina überrascht, sondern auch, weil Lodovico in so gemäßigtem Ton über ein Mitglied der Familie Caliari redete. In Gegenwart seiner Frau klangen solche Äußerungen deutlich feindseliger.
Mit seiner Antwort schien er allerdings ihren Eindruck Lügen strafen zu wollen.
»Man sollte alles über seine Feinde wissen«, sagte er leichthin.
»Gewiss«, erwiderte Celestina höflich. Sie nickte ihm zu, bereits zum Gehen gewandt. »Ich will dich nicht länger bei der Arbeit stören, Onkel Lodovico. Wir sehen uns gleich beim Vespermahl.«
Er blickte ihr nach. Merkwürdiges kleines Ding, man wurde nicht schlau aus ihr. Immer freundlich, aber voller Geheimnisse, genau wie die eitle, spöttische Arcangela, der er noch weniger über den Weg traute. Der Teufel sollte Marta dafür holen, dass sie die beiden eingeladen hatte. Gerade in diesem Jahr kam es ihm alles andere als zupass. Nun, ewig würden sie gewiss nicht bleiben. Alle geheimen Pläne waren irgendwann verwirklicht. Das galt für die seinigen ebenso wie für jene seiner Nichte, wiewohl er diese noch nicht vollends durchschaute.
Fast jede Nacht schlich sie sich in ihrer Knabenverkleidung fort. Es war Lodovico gleichgültig, mit welchem Kerl sie sich traf, so wie es ihn auch wenig störte, was seine Tochter und sein Sohn die ganze Zeit trieben, wenn sie außer Haus waren. Er dachte oft darüber nach, warum das Schicksal ihn mit solch nutzlosen Sprösslingen gestraft hatte. Aus seinem Sohn würde nie ein richtiger Mann werden, egal wie oft er den Degen zog oder sonst wie versuchte, sich stark zu geben, und seine Tochter hatte nicht mehr Verstand als eine schöne Blume.
Soweit es ihn betraf, konnten sie nicht oft genug außer Haus sein, weshalb er auch klaglos die unverschämten Rechnungen des Malers bezahlte. Mittlerweile gestand er sich ein, dass es ihm sogar am liebsten wäre, wenn sie gleich ganz wegbleiben würden.
Weitere Kostenlose Bücher