Das Mädchen aus Mantua
kam im Galopp dahergeprescht, genau auf die Frau zu, die immer noch wie in Trance dort stand und nichts von dem mitbekam, was sich um sie herum abspielte.
Vage kam es Timoteo in den Sinn, dass er ihr nun schon zum zweiten Mal im Zusammenhang mit scheuenden Pferden begegnete. Nur dass sie diesmal keine Gelegenheit haben würde, ihn zu Boden zu strecken. Das würde nun er mit ihr tun.
Diese unnützen Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während er bereits losrannte, und dann, als er sah, dass er nicht schnell genug war, aus vollem Lauf einen gewaltigen Sprung vorwärts tat. Seine ausgestreckten Hände stießen gegen die Frau und rissen sie um. Gemeinsam fielen sie, den Bruchteil eines Augenblicks, bevor Hufe über die Stelle hinwegdonnerten, wo sie eben noch gestanden hatte.
Der Sturz aufs Pflaster war für Timoteo erträglich, denn er landete auf der Frau. Das Einzige, was ihm wehtat, war sein Bein. Der ungewohnt schnelle Lauf würde ihm noch tagelang zusetzen.
Hastig stützte er sich mit beiden Händen neben ihren Schultern ab und blickte ihr ins Gesicht. Sie war bei Bewusstsein und sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Ihr Haar hatte sich gelöst, dichte Locken ringelten sich unter ihrem Kopf. Sie kamen ihm recht kurz vor für das Haar einer Frau, und die Farbe war ungewöhnlich, ein dunkles Blond, aber ohne einen Hauch von Asche, eher wie flüssiger Honig. Doch diesen Gedanken vergaß er, als er ihr ins Gesicht blickte.
Hatte er es von ihrer ersten Begegnung noch als nichtssagend in Erinnerung, so fielen ihm jetzt bemerkenswerte Details auf, etwa, dass sie Sommersprossen auf der Nase hatte und dass ihre Oberlippe einen herzförmigen Schwung aufwies. Ihre Augen waren dunkelgrün, mit winzigen goldenen Flecken darin. Über der linken Braue hatte sie eine kleine Narbe. Und an ihrer Kehle sah man eine Ader pochen.
Noch nie hatte er bei einer Frau so viele Einzelheiten auf einmal wahrgenommen. Möglicherweise hing es damit zusammen, dass er auf ihr lag. Er hatte noch nie auf einer Frau gelegen, weder in amouröser noch sonstiger Absicht. Zugleich bemerkte er aus den Augenwinkeln, wie sich die Gaffer um ihn herum versammelten.
Das brachte ihn dazu, sich ruckartig aufzurappeln, sie zu packen und auf ihre eigenen Füße zu stellen. Es bedurfte keiner großen Anstrengung, sie wog fast nichts.
»Seid Ihr wohlauf?«, wollte er wissen – und erinnerte sich daran, dass sie ihn dasselbe gefragt hatte, nachdem sie ihn niedergeschlagen hatte.
Als er sie losließ, sackte sie kraftlos zusammen.
Hastig umfasste er sie und bewahrte sie vorm Hinfallen. Dabei erkannte er, dass sie nicht atmen konnte. Sie versuchte nach Luft zu schnappen, doch es gelang ihr nicht.
»Ganz ruhig«, sagte Timoteo. Er wusste, wie übel sich das anfühlte. Ihm selbst war es zuletzt passiert, als er zwölf oder dreizehn gewesen war und unbedingt auf einer Mauer herumspazieren musste, die sich in der Folge eindeutig als zu hoch erwiesen hatte. Er war auf den Rücken gefallen, so wie sie vorhin, und er war davon überzeugt gewesen, nie wieder Luft zu kriegen. Eine Ewigkeit hatte er wie ein Fisch auf dem Trockenen gejapst, bis ihm wieder winzige Atemzüge gelungen waren. Behutsam hielt er sie aufrecht und beobachtete ihr Gesicht. Ihre Lider flatterten, und ihre Brust weitete sich ruckartig.
Er war überrascht, wie warm und lebendig sie sich in seinen Armen anfühlte, und unwillkürlich zog er sie dichter an sich.
»Ist sie verletzt?« Galeazzo tauchte neben ihm auf, hinter ihm William.
»Ich glaube, ihr ist nur die Luft weggeblieben.«
»Keine Angst, Madonna«, sagte William mitfühlend. »Das wird gleich wieder!«
Ihr nächster Atemzug war gut zu hören, ein keuchendes, tiefes Luftholen. Eine ihrer Locken ringelte sich vor dem Gesicht und wurde zwischen ihre Lippen gezogen. Timoteo hob die Hand und strich ihr das Haar zur Seite. Es fühlte sich seidig an und gleichzeitig widerspenstig, eine merkwürdige Mischung.
Sie versuchte, etwas zu sagen. »… geht schon.« Timoteo musste genau hinhören, um die gehauchten Worte zu verstehen. Er merkte, dass sie am ganzen Körper zitterte, als sie versuchte, aus eigener Kraft zu stehen, während er sie immer noch hielt. Sie schwankte in seiner schützenden Umarmung, während er langsam seinen Griff lockerte und sie schließlich nur noch bei den Schultern festhielt und dabei ein merkwürdiges Bedauern empfand.
»Wirklich?«, fragte er, sie eingehend betrachtend.
Sie nickte unmerklich und nahm
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