Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
stinken nicht so widerlich wie die Schweine.«
    Celestina konnte nicht länger die Luft anhalten, sie musste atmen. Und bereute es sofort.
    Gianbattista wandte sich zu ihr um. »Das ist noch gar nichts, junger Freund.« Wie um seine Worte unter Beweis zu stellen, zog er das Tuch von einem weiteren Tisch. Dort lag eine menschliche Leiche. Es handelte sich um einen Mann mit aufgeschnittenem Brustkorb. Brummende Fliegen erhoben sich von den herauspräparierten Rippen. Der Gestank war widerwärtig, so sehr, dass kaum eine Beschreibung dafür ausreichte, doch Celestina hielt abermals die Luft an und trat näher. Wenn sie es nicht schaffte, den Ekel zu überwinden, konnte sie ihr Vorhaben gleich vergessen. Kein anatomisches Studium ohne Leiche, und keine Leiche ohne Gestank. Jacopo hatte ihr berichtet, wie schwer es anfangs war und dass manche es nicht schafften. Wenn sie zu denen gehörte, konnte sie ihre Pläne gleich vergessen.
    Der Mann war mittleren Alters. Das im Tod erstarrte Gesicht war bleich und aufgedunsen, die Lippen bläulich. Das gewaltige Loch in seiner Körpermitte offenbarte, dass ihm sämtliche Organe entfernt worden waren. Das sowie der deutliche Verwesungsgestank ließen keinen Zweifel daran, dass mit der Sektion schon vor Tagen begonnen worden war.
    »Zwei Tage«, sagte Gianbattista, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Morgen kommt er weg. Wäre es Winter, würde man noch zwei Tage länger daran arbeiten können, aber jetzt ist es zu warm.« Er beobachtete sie erwartungsvoll. »Ist es so, wie Ihr es erwartet habt? Oder schlimmer? Die meisten finden es zu Beginn schlimm. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Manche lernen es sogar richtiggehend lieben.« Beiläufig tätschelte er den Kopf der Leiche.
    Celestina bemerkte, dass dem Toten ein Auge fehlte. Sie erschauerte und betrachtete den linken Arm, der vom Schultergelenk bis zu den einzelnen Fingerspitzen der Länge nach bis auf die Knochen präpariert worden war. Hautlappen hingen schlaff herab, Sehnen und Nerven lagen frei, sorgfältig herausgeschälte, bis ins Kleinste verästelte Stränge. Die umliegenden Gewebeschichten und die Gefäße hatten sich indes teilweise schon zersetzt, die Fäulnis nahm unweigerlich ihren Fortgang.
    Celestina hielt sich einen Zipfel ihres Ärmels vor die Nase. »Woran ist er gestorben? An der Augenverletzung?«
    »Nein. Doch wen schert es. Er ist mausetot, das ist alles, was zählt.«
    »Wie jemand, der hingerichtet wurde, sieht er aber nicht aus. Hals und Kopf sind unbeschädigt! Ich dachte, es dürften nur Hingerichtete zur Anatomie. Er wurde jedoch weder enthauptet noch gehenkt.«
    »Wir kriegen auch Selbstmörder«, sagte Gianbattista. »Sofern sie sich aus verwerflichen Gründen umgebracht haben.«
    »Welche Gründe wären denn verwerflich?«
    Gianbattista zuckte die Achseln. »Alle, würde ich sagen. Außer bei denen, die genug Geld haben. Denen kann nachträglich eine Gemütsschwäche bescheinigt werden. Das zählt als Krankheit und gibt ein Recht auf ein ordentliches Begräbnis. Die anderen haben jedoch ihre unsterbliche Seele verwirkt.« Sein Gesicht sah im Kerzenlicht dämonisch aus.
    »Und wie war es bei diesem hier?«
    »Er war auf der Durchreise, keiner kannte ihn. Man fand ihn vergiftet in seinem Herbergszimmer. Ein Glücksfall von wenigen.«
    »Glück?«
    »Wir kommen nur schwer an Leichen. So viele Verbrecher zum Hinrichten gibt es nicht, und Selbstmörder noch weniger. Wir nehmen, was wir kriegen können, und nie ist es genug. Diesen Monat ist es schon die dritte Leiche, das ist höchst selten. Alle frohlocken darüber, sogar der Professor kann es kaum fassen. Manchmal haben wir nur eine im halben Jahr. Das ist herzlich wenig für die Bedürfnisse der Wissenschaft.«
    »Ich verstehe«, sagte Celestina. Sie beleuchtete mit der Kerze den präparierten Arm und dann die leere Körperhöhle. Der Gestank brachte sie zum Würgen, und am liebsten wäre sie hinausgerannt. Doch sie war hier, um genau das zu sehen, was sich dort vor ihr auf dem Tisch befand. Einen Menschen, wie er innen aussah. Sie wollte lernen, was auch Jacopo gelernt und was ihn befähigt hatte, zu dem Arzt zu werden, den sie so glühend bewundert hatte. Niemals war sie jemandem begegnet, der den menschlichen Körper und seine Funktionen so gut gekannt hatte wie er. Seinen Wissensstand konnte sie kaum erreichen, nie würde sie mit ihm auf einer Stufe stehen. Ein ganzes Leben konnte dafür nicht ausreichen. Aber vielleicht erreichte sie,

Weitere Kostenlose Bücher