Das Mädchen aus Mantua
Jede Störung war ihm zuwider.
Er rupfte einen Löwenzahn aus, der sich in der Minze breitgemacht hatte, dann ging er hinüber zu einem anderen, versteckt angelegten Beet. Es war ein sehr kleines Areal, das er im vergangenen Jahr neu bepflanzt hatte, eine scheinbar unkultiviert wuchernde Ecke, verborgen von einer Hecke. Um dieses Beet kümmerte er sich besonders gern. Viel Arbeit machte es nicht, er schnitt nur ab und zu den kleinen Tollkirschenbusch zurück, der die Mitte des Beetes markierte, außerdem düngte und goss er es an trockenen Tagen. Dort wuchsen Bilsenkraut, Fingerhut, Stechapfel und Schierling sowie einige weitere sehr bemerkenswerter und nützlicher Pflanzen. Sie waren sein ganzer Stolz.
Eine Woche später, Juni 1601
»Ich sage dir, der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«, meinte Arcangela. Sie trat widerwillig zur Seite und überließ Celestina den Platz vor dem Spiegel. »Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?«
»Nein, leider kein bisschen.«
»Aha«, sagte Arcangela mit grimmiger Befriedigung, aber auch deutlicher Besorgnis in der Stimme. »Wenigstens gibst du es zu. Was dich aber wahrscheinlich nicht davon abhalten wird, dieses hirnrissige Unterfangen in die Tat umzusetzen.«
»Damit hast du recht.«
»Hier, nimm das. Damit hält deine merkwürdige Frisur besser.« Arcangela reichte Celestina ein Stück Lederschnur.
Celestina zwirbelte ihr Haar zu einem festen Knoten und setzte die Kappe auf. Anschließend prüfte sie den Sitz der Leinenbinde, die sie um die Brust geschlungen hatte. Keine Erhebung durfte sich unter dem Hemd abzeichnen. Ihr kam dabei entgegen, dass die Natur sie ohnehin nicht allzu großzügig bestückt hatte. In Kleidung waren ihre weiblichen Rundungen zumeist nur zu ahnen, und trug sie gar Männersachen und band sich den Busen ein, wirkte sie so knabenhaft wie jeder Jüngling, bevor ihn Stimmbruch und Bartwuchs ereilten. Nun ja, ein wenig kleiner vielleicht.
»Womöglich schneidet dieser Kerl aus der Anatomie dir an Ort und Stelle die Gurgel durch und wirft dich zu den anderen Leichen.«
Celestina zuckte die Achseln. Sie musste es darauf ankommen lassen.
Dieser Kerl hieß Gianbattista und war Prosektor in der Anatomie. Celestina hatte ihn – nicht gerade zufällig – in einer Schenke getroffen und bei ein paar Schnäpsen herausgefunden, warum er so trübsinnig dreinschaute. Er war der Spielleidenschaft verfallen und hatte Schulden. Es hatte keiner großen Überredungsgabe bedurft, ihm weiszumachen, wie sehr sie sich für die Anatomie und das Teatro interessierte. Indessen habe ihr gestrenger Onkel eine Besichtigung verboten, ebenso wie jeden noch so harmlosen Besuch einer Schenke, weshalb sie auch genötigt sei, sich gelegentlich bei Nacht davonzustehlen.
Gianbattista war nicht gerade in Mitleid zerflossen, vielmehr starrte er angeödet in seinen Schnapsbecher. Als der junge Bursche neben ihm jedoch von Geld sprach, war er ganz Ohr und voller Anteilnahme. Kein Problem, einen nächtlichen Besuch in der Anatomie zu arrangieren. Wozu arbeitete er dort und hatte einen Schlüssel?
Heute war der große Tag, oder genauer: die Nacht. Nachdem Celestina wochenlang um die Universität herumgeschlichen war, wollte sie nun zum ersten Mal hinein. Damit stand ihr gleichsam die Feuerprobe bevor. Obwohl sie sich oft genug in Männerkleidung in der Stadt herumgetrieben hatte, war die Angst vor der Entdeckung noch nie so groß gewesen wie in dieser Nacht. Zum ersten Mal fragte sie sich ernsthaft, ob sie sich nicht zu viel vorgenommen hatte. Bislang hatte sie ihre Ausflüge immer als Übungen betrachtet, als unverzichtbare Bemühung, sich in diese Rolle hineinzufinden. Dennoch war sie weit davon entfernt, sich wohl in ihrer Haut zu fühlen.
»Ich hörte, er sei ein Mistkerl«, meinte Arcangela.
»Wer?«, fragte Celestina geistesabwesend. Sie war bereit zum Aufbruch. Dieses Mal kam es nicht infrage, aus dem Fenster zu klettern. Die Rosenranken waren wieder an Ort und Stelle, und sie hatten mehr Dornen, als man zählen konnte.
»Der Prosektor aus der Anatomie.«
Celestina hielt inne, die Hand schon am Türknauf. »Wer hat das gesagt?«
»Ach, neulich begegnete ich diesem Galeazzo. Du weißt schon, dem netten Jungen, den wir am Tage unserer Ankunft auf der Piazza kennenlernten. Er studiert Medizin.«
»Ich weiß, er sprach davon. Und zu dir sagte er, dass Gianbattista ein Mistkerl sei?«
»Nicht mit diesen Worten. Aber Galeazzo berichtete mir von einer
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