Das Mädchen aus Mantua
unnützen Risiken ein. Warum hatte er auch unbedingt sterben müssen?
Arcangela und Galeazzo lagen eng umschlungen im weichen Gras, etwa eine Viertelstunde Fußweg von der Stadt entfernt. Über ihnen raschelten die Blätter eines Olivenbaums. Die Sonne zauberte ein malerisches Licht auf ihre nackten Leiber, silbrig und flirrend, sodass alle Umrisse verschwammen wie unter Wasser.
Vor dem Liebesakt hatte sich Arcangela noch an der berückenden Schönheit dieses Hains begeistert. Die zwitschernden Vögel, der sanft durch die Büsche streichende Wind, die Wärme des Grases unter ihnen – das alles hatte dazu beigetragen, sie in erregte Stimmung zu versetzen.
Leider war es wie immer viel zu schnell vorbei gewesen. Beim ersten Mal konnte Galeazzo sich selten länger beherrschen als wenige Minuten. Meist blieb ihr kaum so viel Zeit, wie sie für gewöhnlich zum Anziehen von Strümpfen und Schuhen benötigte. Nun ja, vielleicht noch zum Überstreifen des Hemdes.
»Es ist der Taumel der Leidenschaft«, hatte er nach ihrer ersten intimen Zusammenkunft gestammelt, der halbherzige Versuch einer Entschuldigung dafür, dass sie nicht einmal in die Nähe des Gipfels der Lust gekommen war. Doch es gab Schlimmeres, wie sie bald darauf übereinstimmend herausgefunden hatten, denn einmal war für Galeazzo da Ponte kein Mal. Beim zweiten Mal hielt er schon deutlich länger durch, und wenn das nicht reichte, auch ein drittes Mal, zumindest nach einem kurzen Schlummer.
Bisher hatten sie mit dem Wetter immer Glück gehabt, doch mittlerweile begann Arcangela sich zu fragen, was sie tun sollten, sobald es kälter wurde. Gewiss würden sie sich den Hintern abfrieren, wenn sie sich weiterhin im Freien trafen. Doch was blieb ihr übrig? Sie liebte Galeazzo mit aller Macht ihres Herzens, mindestens genauso sehr wie Vitale. Allein der Gedanke, auf einen der beiden verzichten zu müssen, brach ihr fast das Herz.
Sie hatte sogar überlegt, ob es sehr verwerflich sei, wenn sie Galeazzo mit in die Hütte nähme, in der sie sich sonst immer mit Vitale traf. Vitale musste nichts davon erfahren, und solange sie darauf achtete, keine verräterischen Spuren zu hinterlassen, würde er es auch nicht herausfinden. Er ging nur zu ihren Schäferstündchen dorthin, aus keinem anderen Grund. Ihm gehörten die Freitage, Galeazzo die Montage. Es wäre somit völlig ungefährlich.
Allerdings hatte sie sich diese Idee rasch wieder aus dem Kopf geschlagen. Es war auch so schon schlimm genug. Vitale in seiner eigenen Hütte zum Hahnrei zu machen – das wäre der Gipfel der Sittenlosigkeit. Wobei das, was sie tat, sich ohnedies an menschlicher Schlechtigkeit kaum noch steigern ließ.
Ein Insekt kroch über ihre nackte Wade, und Arcangela zuckte entsetzt zusammen.
»Frierst du, Liebes? Soll ich dich wärmen?« Galeazzo schickte sich umgehend an, seinen Vorschlag in die Tat umzusetzen. Sein rotes Lockenhaar kitzelte sie am Bauch.
»Nicht«, sagte Arcangela, seinen Kopf festhaltend. »Erzähl mir lieber noch einmal, wie es im Spital war. Mit meinem kleinen Bruder.«
Galeazzo schmiegte sich an sie und ließ sie seine Härte spüren. »Ich könnte jetzt wieder. Sollten wir nicht lieber …«
»Nachher. Erzähl erst.«
»Na gut. Ich sagte doch schon, du kannst stolz auf ihn sein. Er war die Umsicht in Person, obwohl eine Menge Blut floss. Die Mutter war anschließend schwach, aber wohlauf, desgleichen das Kind. Unser Professor war beeindruckt. Nach unserer Rückkehr ging er sogleich zum Pedell und gab dort eine Erklärung zu Protokoll. Es soll sogar ein Antrag auf ein Doktorandenstipendium eingereicht werden, falls er sich als würdig erweisen sollte.«
Arcangela fuhr hoch und prallte dabei gegen ihn. »Was? Wieso sagst du mir das jetzt erst?«
»Au!« Galeazzo rieb sich das Kinn. »Falls du es vergessen haben solltest – wir hatten vorhin anderes im Sinn. Ich musste dich ausziehen. Strümpfe, Röcke, Hemd, dies und das, und alles, ohne was zu zerreißen. Das erforderte meine gesamte Konzentration.«
Arcangela strahlte. »Das wird Marino aber freuen! Ein Stipendium! Das trifft sich gut, denn er ist finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet.«
»Ein Stipendium muss man sich verdienen.«
»Was bedeutet das?«, fragte Arcangela besorgt.
»Nun ja, Stipendiaten müssen sich als würdig erweisen.«
Arcangela knuffte ihn. »Das hast du vorhin schon gesagt, aber was bedeutet es? Ich hasse es, wenn du so um den heißen Brei herumredest! Kannst du dich
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