Das Mädchen aus Mantua
nicht klar ausdrücken?«
»Er muss zu den Vorlesungen kommen, sich gelehrig zeigen, sich hochachtungsvoll gegenüber den Dozenten benehmen und stets die Ehre der Serenissima wahren. So ähnlich hat es mir jedenfalls Timoteo erzählt, und der muss es wissen, denn er ist auch ein Stipendiat.«
»Wieso hast du eigentlich kein Stipendium bekommen?«
»Weil ich weder ein Kriegsheld bin noch besonders klug oder begabt. Öffentliche Gelder sind zudem an mich verschwendet, denn mein Vater ist nicht gerade arm, wenngleich seine Einstellung zur Förderung seines einzigen Sohnes von beklagenswertem Pragmatismus getragen ist.« Als Arcangela ihn abermals verärgert knuffte, fügte er erklärend hinzu: »Mein Vater ist geizig bis auf die Knochen. Er vertritt den Standpunkt, ich solle es während des Studiums nicht besser haben als er. Wozu man wissen muss, dass mein Großvater ihn früher ähnlich kurzhielt, allem Reichtum zum Trotz.«
»Ich wusste gar nicht, dass du reich bist.«
»Das bin ich auch nicht, Liebes. Mein Vater ist reich.«
»Wie reich?«
»Ungefähr so reich wie Krösus. Na ja, sagen wir, fast.«
»Womit verdient er sein Geld?«
»Das meiste hat er von meinem Großvater geerbt. Hinzu kommen seine Gewinne mit dem Überseehandel. Zucker aus den Kolonien, Gewürze aus Indien, Seide aus China. Von allem etwas, und zusammen sehr viel.«
»Warum willst du Arzt werden, statt einfach deinem Vater nachzueifern und das Gewerbe des Kaufmanns zu erlernen?«
»Weil ich die Medizin weit faszinierender finde. Ich mag Händler und Kaufleute nicht besonders, weißt du. Weit besser gefällt mir hingegen die Vorstellung, selbst für mein Auskommen zu sorgen, kraft eigener Fähigkeiten, und mich nie wieder von meinem Vater herumkommandieren zu lassen.«
Arcangela seufzte über diese unpraktische Einstellung.
»Aber das Vermögen wird eines Tages dir gehören, oder?«
Galeazzo lachte. »Sehe ich da ein kleines gieriges Funkeln in deinen schönen Augen?«
Das trug ihm einen wesentlich heftigeren Rempler ein als beim letzten Mal. »Was fällt dir ein!« Zornig entwand sie sich ihm und setzte sich auf.
»Nicht doch.« Er zog sie wieder an sich. »Ich weiß, dass du mich um meiner selbst willen liebst! Kämest du sonst mit mir hierher, obwohl ich dir nichts anderes bieten kann als eine wärmende Umarmung in freier Natur?«
»Meine Gründe kenne ich selbst«, grollte sie. »Aber welcher Art sind deine?«
Sooft Vitale ihr seine Liebe beteuerte, so sparsam ließ sich Galeazzo darüber aus. Genau genommen hatte er bisher noch kein einziges Mal gesagt, dass er sie liebe. Nun, sie selbst hatte es ihm auch noch nicht gestanden, aber das wäre natürlich das Letzte, was sie täte. Keinesfalls würde sie sich einem Mann auf solche Weise ausliefern, solange nicht völlig klar war, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte!
»Ich zeige dir meine Gründe«, raunte er ihr ins Ohr. Er presste sich an sie und ließ sie seinen Körper in voller Länge spüren. Seine Hände gingen auf Wanderschaft und fanden zielsicher all ihre empfindsamen Stellen.
»Erinnere mich nachher unbedingt daran, dass du mir noch mehr über die Anatomie erzählen musst«, sagte sie atemlos. »Über die Leichen. Und die Sektionen. Ich traue dieser Wissenschaft nicht!«
»Mach dir keine Sorgen.« Sein Mund glitt über ihren Hals hinab zu ihrer Brust. »Wir werden schon auf deinen Bruder achtgeben, Timoteo und ich. Das weißt du doch, oder?«
Arcangela nickte keuchend. In Wahrheit wusste sie überhaupt nichts mehr, außer, dass dieser Mann jede Sünde wert war.
Spät am Abend desselben Tages las Celestina in ihren medizinischen Büchern, bis ihr die Augen wehtaten. Sie hockte im Schneidersitz auf dem Bett und blätterte in den Werken, um abwechselnd an dieser oder jener Stelle zu verharren, in dem sicheren Bewusstsein, viel zu wenig von all dem verinnerlicht zu haben, was sie eigentlich längst gelernt haben sollte. Sie würde sich nur lächerlich machen bei dem Versuch, bei den gelehrten Dozenten den Eindruck zu erwecken, sie sei eines Stipendiums würdig.
Seit Arcangela ihr davon erzählt hatte, war ihr erst recht mulmig zumute. Ein Stipendium war eine zweischneidige Angelegenheit. Es mochte die Finanzen des auf diese Weise Begünstigten aufbessern, weckte aber dafür bei den anderen Scholaren Neid und Minderwertigkeitsgefühle. Und es lenkte zwangsläufig Aufmerksamkeit auf den Stipendiaten. Die übrigen Studenten und die Dozenten würden ein wachsames Auge
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