Das Mädchen aus Mantua
und einer der Nonnen übergab, um sodann aufmerksam die Nachgeburt zu überwachen.
Timoteo hatte einen Kloß im Hals, und er schämte sich fast, weil ihn der Anblick des Kindes auf so eigenartige Weise rührte. Doch dann bemerkte er, dass es seinen Kommilitonen nicht anders erging. So manch einer, der zuvor noch dümmliche Witze gemacht hatte, war nun stumm vor Staunen, der eine oder andere wirkte sogar regelrecht ergriffen.
Marino dagegen zeigte keine solchen Regungen, wie Timoteo feststellte. Das Gesicht des Jungen war blass und seltsam starr. Er stand mit hängenden Armen neben dem Bett und blickte zu Boden.
»Du solltest wirklich zur Universität gehen, Junge«, sagte der Mönch. »Du hast das Zeug dazu!«
»Das stimmt!«, platzte Timoteo heraus.
Seine unbedachte Bemerkung führte dazu, dass alle sich zu ihm umwandten. Verlegen zog Timoteo die Schultern hoch. »Na ja, zufällig sprach ich schon mit ihm darüber. Er hat so ziemlich alle Lehrbücher studiert, die es gibt. Den Aristoteles kennt er wie den Galenus und den Vesalius, und viele andere obendrein. Ich möchte wetten, dass er über die Medizin genauso viel weiß wie William.«
Professor Fabrizio musterte Marino. »Ist das wahr?«
Gespannt wartete Timoteo auf eine Antwort, doch es kam keine. Der Mönch trat an die Seite des Jungen und stieß ihn leicht an der Schulter an. »Sprich nur frei heraus.«
Marino rang vergeblich nach Worten. »Ich … also …«
Er verstummte wieder.
Schließlich antwortete der Mönch an seiner Stelle. »Sieht man es ihm nicht an? Er mag viel wissen und sich nach einem wissenschaftlichen Grad sehnen, aber er stammt nicht gerade aus begütertem Hause und ist entsprechend eingeschüchtert.«
»Ich verstehe«, meinte Professor Fabrizio.
Seine Miene offenbarte nachdenkliches Mitgefühl. Es war allgemein bekannt, dass der Professor in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war und nur aufgrund seiner Begabung sowie dank eines Stipendiums hatte studieren können.
Baldo, der es liebte, andere öffentlich schlechtzumachen, lachte verächtlich. »Der Lehrling eines Steinschneiders! Was hat die wahre Medizin mit solchem Handwerk gemein?«
»Jacopo war nicht nur Chirurg, sondern auch ein Doktor der Medizin«, sagte Marino. Timoteo hörte die Empörung aus seiner Stimme; dem Jungen lag offensichtlich viel an seinem verstorbenen Schwager.
Professor Fabrizio lächelte. »Gute Chirurgen werden immer gebraucht«, sagte er bedächtig. »Es ist ein ordentliches und ehrbares Handwerk, und schon manche haben sich Ruhm dadurch erworben, dass sie auf umsichtige Weise das Messer führten. Wir studierten Ärzte befassen uns für gewöhnlich nicht damit zu schneiden. Aber die glänzendsten und größten unter uns waren stets jene, die sich dafür nicht zu schade waren. Der unvergleichliche Vesalius. Mein hochgeschätzter Lehrer Fallopio. Und vergessen wir nicht den besten Arzt aller Zeiten, Galenus. Sie alle waren studierte Anatomen – und zugleich Chirurgen.«
Baldo presste die Lippen zusammen, er wagte keinen Widerspruch.
Timoteo spürte eine Aufwallung von Triumph.
Der Professor wandte sich an Marino und stellte ihm mit ruhiger Stimme mehrere Fragen, vornehmlich aus seinem eigenen Spezialgebiet, der fötalen Entwicklungslehre. Der Junge beantworte jede einzelne Frage ohne zu zögern, und es wurde rasch für alle Anwesenden offenkundig, dass er nicht nur in praktischen Dingen Bescheid wusste, sondern sich auch intensiv mit den theoretischen Grundlagen beschäftigt hatte.
»Ihr habt mein Buch gelesen«, stellte der Professor erstaunt fest.
Marino räusperte sich. » De formatu foetu , ja.«
»Da habt Ihr den meisten Doktoranden aber viel voraus!«
Marino sah sich peinlich berührt um.
»Ich werde alles Nötige veranlassen, junger Mann«, sagte Professor Fabrizio zu Marino. »Kommt morgen zur Universität und schreibt Euch ein.«
Am Nachmittag desselben Tages
»Unglaublich, was dein kleiner Bruder wusste«, meinte Galeazzo sinnend zu Arcangela. »Dein Schwager muss wirklich ein fabelhafter Medicus gewesen sein. Mancher arme Studiosus kann sich da nur glühend wünschen, bei solch einer Koryphäe in die Lehre zu gehen!«
Arcangela zog es vor, nicht darauf zu antworten. Es deprimierte sie, an ihren verstorbenen Schwager zu denken. Aus ihrer Sicht bot der Arztberuf nichts Bestrickendes. Und in diesem Fall waren die Auswirkungen von Jacopos Arbeit erst recht unangenehm. Um sein Andenken zu ehren, ging Celestina all diese
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