Das Mädchen aus Mantua
Anatomieleichen bedeutsam ist. Ihr wisst schon, unsere Abmachung.« Er lächelte. »Worauf wartet Ihr noch? Ich wünsche Euch viel Glück und Erfolg!«
Zögernd betrat sie auf seinen Wink hin die Kammer und stellte den Korb ab. Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, war er bereits gegangen. Sie schloss die Tür ab und zog sich um. Als sie die Kammer wieder verlassen wollte, hörte sie Stimmen auf dem Gang. Den Knauf schon in der Hand, verharrte sie reglos und spähte durch den Türspalt.
Ein paar Schritte entfernt stand Schwester Deodata. Sie redete leise mit einem Mann, der Celestina den Rücken zukehrte. Doch sie brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um ihn zu erkennen. Es handelte sich um ihren Onkel Lodovico. Er überreichte der Nonne ein Bündel, das in Tuch eingeschlagen war, worauf er sich lächelnd abwandte und zum Ausgang eilte, schwachen Kräuterduft hinter sich herziehend. Celestina fuhr zurück, um nicht gesehen zu werden, doch er schaute gar nicht in ihre Richtung, sondern ging geradewegs nach draußen. Auch die Nonne verließ den Gang, sie entfernte sich in Richtung der Krankensäle.
Celestina wartete, bis ihr rasender Herzschlag sich etwas beruhigt hatte und sie sicher sein konnte, dass die Luft rein war. Mit der größtmöglichen Eile suchte sie schließlich das Weite.
Auf dem Weg zur Universität versuchte sie nicht daran zu denken, dass es – wieder einmal! – um Haaresbreite schiefgegangen wäre. Ebenso versuchte sie, sich nicht länger mit der Frage zu zermürben, was ihr Onkel im Spital verloren hatte. Doch sie konnte ihrem Verstand nicht befehlen, seine Funktion einzustellen.
Dass Onkel Lodovico der Nonne Kräuter gebracht hatte, lag auf der Hand, offen blieb jedoch das Warum, vor allem aber, ob er das häufiger tat und warum es zu dieser frühen Tageszeit geschehen war, lange bevor Tante Marta und der alte Drachen Immaculata aus den Federn krochen. Auffällig war zudem, dass er den Hintereingang benutzt hatte und der Nonne das Bündel unter vier Augen übergeben hatte. Es war fast, als habe er vermeiden wollen, dabei beobachtet zu werden.
Schließlich erreichte Celestina die Universität, und nun gelang ihr, was ihr zuvor unmöglich gewesen war – sie hörte schlagartig auf zu denken. Ihr Kopf war wie leergefegt.
Celestina blieb vor dem Gebäude stehen und sammelte sich. Da war sie nun.
Il Bo! Sie holte tief Luft und starrte die Fassade an, so wie sie es schon häufiger getan hatte, seit sie in der Stadt war. Die Angst drohte sie zu überwältigen, doch Celestina hatte es nicht anders erwartet und sich dagegen gewappnet. Sie ließ die Panik zu, aber nur für einen Augenblick. Dann straffte sie sich, atmete langsam aus und schritt hoch erhobenen Hauptes durch das Portal.
Einige unausgeschlafen wirkende Studenten kreuzten ihren Weg, und einer rempelte sie versehentlich an.
»Kannst du nicht aufpassen, Blödmann?«, maulte er.
Er war höchstens siebzehn und sein Gesicht von Pickeln übersät. Celestina lag ein Tadel auf der Zunge, doch dann schluckte sie den Ärger herunter und rang sich sogar eine gemurmelte Entschuldigung ab.
Weitere Studenten kamen durch das Tor in den Hof und strömten zu den umliegenden Türen, die in das Gebäude führten. Die weitläufige Fläche des Hofs war an den Seiten von Säulengängen begrenzt, die ihm eine strenge, fast feierliche Schönheit verliehen. Im zweiten Geschoss verlief rund um den Hof ein ebenfalls von Säulenloggien umgebener Rundgang. Aufgelockert wurde die zeremonielle Atmosphäre durch die zahlreichen Wappen, die als dekorative Elemente an den Wänden angebracht waren. Man hatte sie teils aufgemalt, teils als kunstvolle kleine Skulpturen gestaltet. Neugierig trat Celestina näher, um sie zu betrachten. Anscheinend handelte es sich um die privaten Wappen ehemaliger Rektoren und Räte der Universität, Celestina erkannte einige berühmte Namen wieder.
»He«, sagte jemand hinter ihr. Es war William Harvey, der Engländer. »Guten Morgen, Marino da Rapallo!«
»Guten Morgen, Messèr Harvey.«
»Wenn du willst, kannst du mich Guglielmo nennen, das tun die meisten hier.«
»Was ist gegen William einzuwenden?«, fragte sie zurück.
Er lachte. »Nicht das Geringste, außer, dass es kaum ein Hiesiger richtig ausspricht. Du bist eine löbliche Ausnahme.«
Sie war drauf und dran zuzugeben, dass sie es ein paar Mal geübt hatte, weil sie den Namen so fremdartig und zugleich bemerkenswert fand, doch stattdessen erkundigte sie sich bei
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