Das Mädchen aus Mantua
Kost und Logis bei ihrer Tante frei. Möglicherweise könnte sie sich auch im Hospital einige Soldi als Hilfskraft verdienen …
Der Pedell riss sie aus ihren Gedanken. Tadelnd klopfte er auf das Matrikelbuch, anscheinend das Zeichen, dass er jetzt Bares sehen wollte.
Sie kramte die benötigte Summe aus ihrem Beutel, worauf der Pedell ihr den Empfang quittierte und sie gleich darauf mit einer ungeduldigen Handbewegung entließ.
Gemeinsam mit William schlenderte sie durch den Innenhof. Der Engländer zeigte ihr, wo das Vorlesungsverzeichnis angeschlagen war, dann gingen sie langsam weiter zur Treppe.
»Wir haben noch ein wenig Zeit, bis es losgeht«, sagte er. »Ich komme häufig etwas früher, um mir die anatomischen Präparate in Ruhe anzusehen. Wenn du magst, schauen wir uns das heutige Material zusammen an, bevor wir zur Vorlesung gehen.«
»Gern.«
Im ersten Stock gingen sie durch die Loggia zu den Sälen der medizinischen Fakultät. Bei Tageslicht sah alles ganz anders aus als bei Nacht, weitläufiger und heller, jedoch nicht weniger Ehrfurcht gebietend.
Am Sektionstisch im Teatro Anatomico stand der Prosektor Gianbattista, die hagere Gestalt über besagten Schweinekadaver gebeugt.
William teilte dem Mann mit, was der Pedell ihm aufgetragen hatte, worauf Gianbattista sich wütend mit der Faust in die offene Hand schlug.
»Dieser Pedell hat leicht reden! Wer kriegt denn den Ärger vom Professor, wenn zu den Anatomievorführungen keine geeigneten Präparate verfügbar sind? Der Professor will ein Schwein, und ich bringe ein Schwein! Er will einen Hund, und ich besorge einen! Und wer hat in diesem Jahr schon mehr menschliche Leichen herangeschafft als in den ganzen letzten Jahren davor? Nie hatten wir so zufriedenstellend viele Sektionen wie in diesem Jahr! Der Ruhm des Teatro Anatomico dringt nur wenige Jahre nach der Errichtung dieser Stätte bereits in alle Welt hinaus! Wie stellt der Herr Pedell es sich vor, eine Anatomiestunde ohne Material zu halten? Anhand von Zeigestock und Zeichnungen, die jeder einzelne Student bereits bis zum Überdruss kennt?« Erbost deutete er auf das Borstenvieh.
»Es ist erst seit gestern tot! Es riecht so gut wie gar nicht! Ohne Frage kann es diesen Zustand sogar in aufgeschnittenem Zustand noch für zwei Tage beibehalten, zumindest dann, wenn man es fachgerecht ausweidet und die Innereien fortschafft!«
»Ich gebe nur weiter, was der Pedell wollte«, sagte William diplomatisch. »Wie Ihr wisst, ziehe ich ebenfalls das Üben am richtigen Objekt vor. Vor allem dann, wenn es, wie dieses Schwein, ohne Fremdeinwirkung gestorben ist, denn dann gibt der Körper Aufschluss über mögliche Krankheiten. Wobei mich der Gestank weniger stört als die meisten anderen.«
Gianbattista lenkte sein Augenmerk auf Celestina. »Was habt Ihr hier verloren?«, fragte er befremdet.
»Ich bin seit heute hier ordentlicher Student.« Sie verbeugte sich. »Marino da Rapallo.«
Er runzelte die Stirn und versuchte, sich daran zu erinnern, ob er den Namen schon gehört hatte, doch sie hatte sich ihm verständlicherweise anlässlich des nächtlichen Ausflugs in diese Räumlichkeiten nicht vorgestellt.
»Aha«, sagte er, sich den kahlen Schädel kratzend. »Nun denn. Wie Ihr vielleicht schon gehört habt, bin ich als Prosektor der Anatomie befugt, den Studenten, vor allem den neuen, Weisungen zu erteilen. Findet Euch nach den Vorlesungen hier ein und schafft das Schwein fort.« Ohne ein Wort drehte er sich um und eilte aus dem Raum. Sein im Luftzug schwingender Umhang hinterließ einen Geruch nach Tod und Verwesung.
Perplex musterte Celestina den Stein des Anstoßes, das Schwein, welches, die Augen halb geschlossen und das Maul unter dem bleichen Rüssel leicht geöffnet, schlaff ausgebreitet auf dem Sektionstisch lag. Da es nicht geschlachtet, sondern offensichtlich von allein gestorben war, durfte es nicht auf dem Fleischmarkt verkauft werden. Wo sollte sie es also hinbringen? Und vor allem, wie sollte sie ein ausgewachsenes Schwein fortschaffen? Besonders dann, wenn es anatomiert war und nur noch aus stinkenden, triefenden Teilen bestand?
»Du fragst dich sicher, wie du dieses Vieh fortschaffen sollst«, sagte William. »Keine Sorge. Der Gehilfe des Pedells ist für solche Freundschaftsdienste immer zu haben.«
Vor der Vorlesung nutzte Celestina noch die Gelegenheit, sich von William im Teatro Anatomico den Tisch mit dem Instrumentarium zeigen zu lassen, das für die anatomischen Sektionen
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