Das Mädchen aus Mantua
mit einem feuchten Tuch ab, entfernte die übel riechenden Hinterlassenschaften vom Fußboden und öffnete weit die Läden, um frische Luft ins Zimmer zu lassen, anschließend streifte sie Celestina die Kleidung ab und deckte sie sorgsam zu. »Ich schätze, das war dein erster Rausch, oder?«
Es focht sie nicht weiter an, dass darauf keine Antwort kam. »Immerhin hatte es auch ein Gutes«, brummte sie. »Du wirst es nicht wieder tun. Jedenfalls nicht so schnell.«
Während Arcangela sich mit schwesterlicher Fürsorge um Celestina kümmerte und die Magd sowie die alte Frau bereits wieder schliefen, hatten andere Bewohner des Hauses Bertolucci noch keine Bettruhe im Sinn.
Einer von ihnen hatte das Haus gerade verlassen, als der junge Caliari und sein Freund das Mädchen heimgebracht hatten. Soeben hatte er die Einmündung der nächsten Gasse erreicht, als er die Nachtschwärmer näher kommen sah.
Er staunte nicht schlecht, als er Celestina in Männerkleidern sah. Trotz der schwachen Beleuchtung und der Entfernung erkannte er sie sofort. Was hatte sie mit Timoteo Caliari zu schaffen? Wusste der Junge um ihre Maskerade? Sollten sich hier etwa Komplikationen anbahnen, die möglicherweise zu einer Verschärfung des Familienkonflikts führten?
Er wusste nicht, was er davon halten sollte, doch er würde es herausfinden. Und seine Erkenntnisse erst dann verwerten, wenn es ihm geraten erschien.
Doch zunächst gab es Wichtigeres zu tun. Eilig schritt er durch die Gassen, das flackernde Windlicht in seiner Hand.
Auf dem Weg zu seiner Verabredung blieb er kurz stehen und beobachtete ein Haus, hinter dessen vorgezogenen Läden Kerzenschein schimmerte. Eine Tür wurde geöffnet, ein junger Mann schlüpfte hinein. Ein Lichtreflex fing sich auf den hellen Locken, die unter dem Hut hervorquollen.
Ah, er hatte es geahnt! Guido war kurz vor ihm aufgebrochen, genauso verstohlen wie er selbst, mit einem Vorhaben, das so verboten war wie das seine. Noch ein Geheimnis, das er sich eines Tages zunutze machen konnte.
Doch vorerst würde er sich um seine eigenen Geheimnisse kümmern. Beschwingt ausschreitend ging er weiter und verschwand in der Nacht.
Am nächsten Tag
Celestina wurde vom Primläuten geweckt. Unten im Haus rumorten die Mägde. Arcangela hatte die Läden offen gelassen, und das frühe Tageslicht stach gnadenlos in Celestinas Augen. Rasch legte sie die Hand darüber und rollte sich auf den Bauch. Ihr Schädel dröhnte. Irgendwer hatte von einem Amboss unter einem Schmiedehammer gesprochen, Celestina erinnerte sich dunkel daran. Ganz traf die Beschreibung ihren Zustand nicht, fand sie. Eher fühlte ihr Kopf sich an wie eine Glocke, in der mit hartem Schlag der Klöppel hin und her schwang und stetig gegen die Hirnschale prallte. In ihrem Mund schien ein verrotteter Putzlumpen zu stecken, und ihre Kehle war von grausamem Durst ausgedörrt.
Egal, wie sehr ihr der Schädel brummte, sie konnte nicht liegen bleiben, sie musste Wasser trinken. Stöhnend rollte sie abermals herum und setzte sich auf. Dabei fiel eines ihrer Bücher zu Boden. Bestürzt sah sie, dass es sich um die erst kürzlich erschienene Publikation De curtorum Chirurgia 3 handelte, eine fulminante Schrift von Gaspare Tagliacozzi, dem herausragenden Chirurgen, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, abgeschnittene Nasen zu erneuern. Was hätte sie darum gegeben, mit diesem Arzt korrespondieren zu können! Leider war er kurz nach der Veröffentlichung seines Werks verstorben.
Celestina fühlte sich ebenfalls dem Tode nah. Niemand konnte solches Kopfweh überleben. Doch da gab es etwas, das sie tun musste. Es war so ungeheuer wichtig, dass ihre ganze weitere Zukunft davon abhing. Was war es nur?
Es fiel ihr wieder ein, und sie stöhnte noch lauter. Völlig ausgeschlossen, dass sie in diesem Zustand zur Universität ging! Und erst recht ausgeschlossen, dass sie es nich t tat.
Vorsichtig kletterte sie aus dem Bett und schleppte sich zum Fenster, um als Erstes die Läden vorzulegen und das mörderische Licht auszusperren, jedenfalls einen Teil davon.
Danach trank sie Wasser direkt aus dem Krug und durchnässte dabei versehentlich das Hemd. Sie zog es aus und ging zur Waschkommode, wo sie sich zwang, die morgendliche Reinigung ihres Körpers in Angriff zu nehmen. Allein das Kämmen war eine Tortur, ihr Haar hatte sich über Nacht zu wirren Zotteln aufgebauscht, die kaum auseinanderzubringen waren. Das mit Minzöl getränkte Zahnhölzchen vertrieb den
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