Das Mädchen-Buch
nicht mehr sehen konnte. Das fand ich ganz gut.«
TABEA, 14 JAHRE
Wenn Eltern »Nein« zum Piercing oder zum Tattoo sagen, schützen sie ihre Kinder. Sie können eher übersehen, dass das | 206 | langfristige Entscheidungen sind, die man zu späterer Zeit bereuen kann, oder dass medizinische Risiken etwas sind, zu dem Eltern nicht ohne Not »Ja« sagen sollten. Ein oder zwei Ohrlöcher könnten ein Kompromiss sein.
Ich gegen mich: Hungern, Ritzen, Komasaufen
Essen hat viele Bedeutungen. Nahrungsaufnahme, um zu überleben, ist nur eine davon. Es geht um mehr: Wenn auf Elternabenden in Kindergärten oder Schulen über das Essen geklagt wird, schwingt in den Reden häufig auch so etwas wie der Wunsch nach Mitbestimmung, nach mehr Einwirkungsmöglichkeiten seitens der Eltern mit. Essen in der Familie ist ein Symbol für Zusammengehörigkeit, das Zubereiten von Mahlzeiten gilt als Liebesbeweis. In liebevoll geschmierten Schulbroten steckt die Botschaft: »Ich möchte dir etwas Gutes mitgeben.« Für viele Kinder ist es eine wohltuende Geste. Essen mit Freunden eröffnet die Möglichkeit, sich zu treffen, seine Zuneigung zu bekunden oder eine angenehme Atmosphäre für ein schwierigeres Thema zu haben. »Leg die Hände auf den Tisch«, »Man spricht nicht mit vollem Mund« sind gesellschaftliche Werte, die beim Essen vermittelt werden. Was Essen für jeden persönlich bedeutet, hängt maßgeblich davon ab, mit welchen Erlebnissen er es verbindet. Kommen Köstlichkeiten auf den Tisch, wird beim Essen viel gelacht, kann ich sein, wie ich bin? Oder wird die gemeinsame Mahlzeit dazu benutzt, die Kinder zu erziehen, zu verhören, zu kontrollieren, an ihnen herumzunörgeln. »Iss noch mehr« oder »Nimm nicht so viel«. All diese Erlebnisse und Erfahrungen prägen unser Verhältnis zum Essen. Und umgekehrt: Darin spiegelt sich, ob wir es uns wohl sein lassen können oder nicht. Im Übrigen: Essen macht nur freiwillig Spaß: »Ich bestimme, was ich zu mir nehme und wie.« »Nur ich weiß, wann ich Hunger habe und wann genug ist.« | 207 |
»Nur ich weiß, was mir schmeckt.« Lebensfreude und Genuss kann man nicht verordnen, aber vorleben. Hinzu kommt, dass sich die Esskultur bei uns stark verändert hat. Seit Fast Food und Schnellimbiss, seitdem oft beide Eltern berufstätig sind, findet in vielen Familien seltener ein gemeinsames Essen statt. Jeder pickt für sich, wann es gerade passt. Essen wird zur Nahrungsaufnahme. Aus Hunger, aus Frust, aus Gier, aus Kummer, aus Notwendigkeit.
Essproblematiken gehören zum Alltag vieler Mädchen. Jede kennt etwas davon: Entweder achtet sie selbst sehr auf ihr Gewicht, macht schon mal eine Diät, verbietet sich, abends nach 18 Uhr noch etwas zu essen, oder sie kennt ein Mädchen im Familien- oder Bekanntenkreis, die magersüchtig oder zumindest essgestört ist. Die 14-jährige Tabea formuliert das so:
»Bei Germanys Next Topmodel ist es so: Ich guck mir die Sendung an und sage: ›Poh, die sollten echt mal was essen.‹ Und es gibt Mädchen, die das sehen und dann sagen: ›Ich muss abnehmen, ich muss abnehmen‹.«
TABEA, 14 JAHRE
Essstörungen
Essstörungen zählen im Kindes- und Jugendalter zu den häufigsten chronischen Krankheiten. 21,9 %, mehr als ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren, zeigen Symptome einer Essstörung. Im Alter von 11 Jahren sind Jungen und Mädchen noch etwa gleich häufig betroffen. Ab da steigt der Anteil der Mädchen auf 30,1 %, der der Jungen sinkt auf 12,8 %.
Kinder und Jugendliche aus Familien mit Migrationshintergrund haben doppelt so häufig Symptome von Essstörungen als andere. 95 | 208 |
Zu dick oder zu dünn: Welche Essstörungen gibt es?
Die häufigste und zugleich gefährlichste Essstörung ist die Magersucht (Anorexie). 10 % aller Erkrankten sterben daran.
Dann folgt die Ess-Brech-Sucht (Bulimie). Die Betroffenen verspüren einen Heißhunger und reagieren mit exzessiven Essorgien. Anschließend stecken sie sich den Finger in den Hals, fasten und nehmen Abführmittel.
Bei der Binge-Eating-Disorder hat man Episoden von »Fressanfällen«. Große Mengen von Essen werden heruntergeschlungen, aber nicht wieder ausgeglichen. Oft sind »Binge-Eater« übergewichtig.
Die Adipositas (»Fettsucht«) ist eine Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit mit starkem Übergewicht. Die Betroffenen essen zu viel, sie ernähren sich falsch und sie bewegen sich zu wenig. Aber es gibt auch genetische Ursachen und seelische Gründe für
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