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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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sich gegenseitig schubsend durch die Menge. Als Benedetta sich um sich selbst drehte, um nicht zu stürzen, fiel ihr Blick auf einen Stoffladen, und sie erkannte durch das Fenster das jüdische Mädchen, das Mercurio so gut gefiel. Und sie bemerkte auch, dass Giuditta sie gesehen hatte und winkend auf sie zukam. Das Lächeln erstarrte ihr im Gesicht. Wieder kam der Hass in ihr hoch, genau wie vor einigen Tagen.
    Ohne nachzudenken, legte sie Mercurio schnell die Arme um den Hals.
    Und küsste ihn.

29
    G iuditta strahlte an diesem Morgen über das ganze Gesicht und war so glücklich wie noch nie in ihrem Leben.
    Ihr Vater hatte sie mit der wichtigen Aufgabe betraut, für sie eine Wohnung auszusuchen. Donnola hatte sie durch ganz Venedig begleitet und ihr zauberhafte Orte gezeigt, wunderschöne Häuser mit bunten Bleifenstern und Fußböden aus Marmorkies, Deckenfresken, Wandteppichen, reich verzierten Türen, Säulen aus gelb-rotem Marmor und bunten Markisen. Alles in dieser Stadt wirkte schöner als anderswo.
    Nur eines trübte diesen Eindruck. Seit Tagen schon sah Giuditta, jedes Mal wenn sie Juden begegnete, sich deren gelbe Hüte genau an. Einige waren so hell, dass sie fast weiß wirkten, andere leuchteten in sattem Gelb wie Sonnenblumen, und wieder andere hatten die kräftige Farbe eines Entenschnabels. Am besten gefielen ihr die dunkleren Töne, die stark ins Orange spielten. Die Hüte sahen allesamt eher unauffällig aus, keiner hob sich aus der Masse hervor. Man trug sie als Zeichen, als eine Art Schandmal, ganz wie es die Christen beabsichtigt hatten. Das wurde ihr auch jeden Abend bewusst, wenn sie sich auszog und Kleid und Hut zusammen auf den Stuhl legte. Irgendetwas störte sie daran.
    »Wonach suchst du dir einen Hut aus?«, hatte sie Donnola an diesem Morgen gefragt.
    »Wenn er nicht zu viel kostet, dann nehme ich ihn.«
    »Ich meine die Farbe«, hatte Giuditta nachgehakt. »Wenn du ein schwarzes Gewand trägst, wie ist dann dein Hut?«
    »Schwarz, zum Henker, was für eine Frage.«
    »Und wenn du etwas in Rot und Violett anziehst?«
    »Na ja …«
    »Entweder rot …«, hatte Giuditta vorgeschlagen.
    »… oder violett!«
    »Ganz genau.« Giuditta hatte zufrieden genickt. »Danke.«
    »Ich verstehe gar nichts«, hatte Donnola gebrummt.
    Giuditta dagegen wusste genau, worauf sie hinauswollte. Selbst dem niederen Volk war es freigestellt, seine Kopfbedeckung passend zum Gewand zu wählen. Kleid und Hut ergänzten sich harmonisch. Folglich war sie der Meinung, dass Leute wie sie genau andersherum vorgehen müssten: das Gewand passend zum Hut auswählen. Die Lösung lag also auf der Hand und war im Grunde ganz einfach. »Ach, vergiss es einfach«, hatte sie zu Donnola gesagt. »Dummes Weibergeschwätz.«
    »Also irgendeine List.«
    »Nein, da steckt gar nichts dahinter.« Sie hatte sich umgesehen. Das Leben war ihr noch nie so schön erschienen wie an diesem Morgen. »Bring mich zu einem Stoffgeschäft«, hatte sie ihn gebeten.
    »Das beste gehört rein zufällig einem guten Bekannten von mir«, hatte Donnola behauptet. »Es liegt am Campiello del Gambero.«
    Giuditta hatte gelacht, und sie waren dorthin gegangen.
    Es gab einen besonderen Grund, warum sie so heiter war. Diese neue, ihr unbekannte Fröhlichkeit gründete auf der vergangenen Nacht. Auf einem Traum, aus dem sie vollkommen atemlos erwacht war. Und der sie verändert hatte.
    Seit Tagen, vor allem seit sie ihn am Riva del Vin gesehen hatte, musste Giuditta ständig an Mercurio denken. Er hatte nicht mehr sein Priestergewand getragen. Also stimmte es, hatte sie sich im Dunkel des Herbergszimmers gesagt, das sie mit ihrem Vater teilte. Er war kein Priester, sondern ein ganz normaler junger Mann. Ein Junge, an den ein Mädchen denken durfte.
    Aber letzte Nacht war sie weiter gegangen. Ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Gefühle hatten sich in ihren Schlaf, in ihre Träume eingeschlichen. Sie hatte geträumt, sie wäre wieder auf dem Proviantkarren von Hauptmann Lanzafame in Mestre. Und neben ihr stand Mercurio. Ihre Hände berührten sich. Dann verflochten sich ihre Finger ineinander. Giuditta hatte sich umgesehen und weder ihren Vater noch sonst einen Menschen entdeckt. Mercurio und sie waren ganz allein in dem Karren. Giuditta hatte nicht einen Moment Angst gehabt oder gezögert. Sie hatte sich ihm mit halb geöffneten Lippen zugewandt, und Mercurio hatte sie an sich gezogen. »Ich habe dich gefunden«, hatte er zu ihr gesagt und sie dabei

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