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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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nahm ihre Hand grob in seine. »Schlaf jetzt, Marianna.«
    Die Frau schloss die Augen und flüsterte: »Ja, Andrea.«
    Isacco wandte sich zum Gehen, als er bemerkte, dass die stumme Magd ihn anstarrte. »Bis später«, sagte er und versuchte an ihr vorbeizugehen.
    Doch die Dienerin versperrte ihm den Weg. Sie holte ein Holztäfelchen mit einer groben Zeichnung der Jungfrau Maria mit Jesuskind hervor, küsste es, berührte es mit der Kuppe des rechten Daumens, um dann damit hastig ein Kreuz auf Isaccos Stirn zu malen.
    »Ich bin Jude«, erklärte ihr Isacco.
    Die Dienerin zuckte die Schultern, als wolle sie sagen, das sei ihr vollkommen gleich, und stieß einen kehligen Laut aus: »Goo sene dii …«
    »Lass ihn in Ruhe, du verdammte stumme Kuh!«, brüllte Lanzafame. Einen Moment lang kehrte Stille ein. Dann fügte er seufzend hinzu: »Sie hat gesagt, Gott segne dich, Doktor.« Die alte Magd lächelte glücklich wie ein zahnloses kleines Mädchen.

28
    M ercurio und Benedetta versteckten sich noch eine ganze Weile an den sumpfigen Ufern des Canal Grande hinter dem Fontego dei Tedeschi. Dort zog sich Mercurio den Altweiberrock aus, wusch sich das Bleiweiß und die übrige Schminke ab und wickelte alle Requisiten in einen Beutel aus Tuch. Danach rannten sie zum Campo San Aponal.
    Gut gelaunt betraten sie den Laden des Kräuterkrämers.
    »Paolo, schau einmal her«, sagte Mercurio und ließ den Diamantring auf den Verkaufstresen fallen. »Den hat uns der Goldschmied bei San Bartolomeo geschenkt.«
    Der Mann riss erstaunt die Augen auf, nahm den Ring mit spitzen Fingern, als hätte er eine Kakerlake erwischt, und ließ ihn schnell in seiner Handfläche verschwinden. »Der Goldschmied von San Bartolomeo?«, fragte er, hin- und hergerissen zwischen Schreck und Bewunderung. »Bist du wahnsinnig geworden?«
    »Warum?«
    »Sein Vetter ist einer von den Cattaveri.«
    »Von wem?«
    »Von den Beamten der Finanzbehörde.«
    »Und das heißt?«
    »Das heißt …« Der Kräuterhändler zögerte. »Das heißt … das darf man auf keinen Fall …«
    »Was darf man auf keinen Fall?«, fragte Scarabello, der in einem neuen schwarzen Pelzmantel den Laden betrat. Er musterte die Reste von Mercurios Verkleidung. Unter dessen geöffneter Jacke schaute das Oberteil des Kleides mit dem Schleier hervor, der die Ketten verbarg. Er richtete einen Finger auf ihn. »Bist du etwa die alte Vettel, über die der ganze Rialto spricht?«
    »Hör doch, Scarabello … Es tut mir leid … Ich wusste ja nicht, dass der Goldschmied …«, stammelte Mercurio besorgt, »also, wie hätte ich denn wissen können, dass …«
    »Bist du wirklich die furzende Alte?« Scarabello lachte schallend.
    »Du bist nicht wütend?«, fragte Mercurio erstaunt.
    »Überhaupt nicht«, fuhr Scarabello fort. »Du bist ein Genie, Junge, diese Gaunerei wird in die Geschichte von Venedig eingehen, das versichere ich dir.« Er konnte vor Lachen kaum weiterreden. »Schade nur, dass du nicht den Beifall für deine großartige Vorstellung ernten kannst.«
    »Aber Paolo hat gesagt …«
    Scarabello ging zum Kräuterhändler und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Paolo ist ein alter Hasenfuß. Und er hat eine Sklavenseele, stimmt’s, Paolo?«
    Der Kräuterkrämer senkte beschämt den Kopf.
    »Das ist nicht seine Schuld«, sagte Scarabello ganz ohne Hohn und sah Mercurio in die Augen. »Man wird als Hund oder Wolf geboren. Wenn du als Hund zur Welt kommst, wirst du irgendwann von den Prügeln gebrochen. Wenn du als Wolf geboren wirst, beißt du bis zum letzten Atemzug in den Stock.« Er schwieg kurz und sah Mercurio an. »Und du, bist du Hund oder Wolf?«
    Mercurio betrachtete Paolo. Ganz sicher erkannte er sich nicht in diesem Mann wieder, der jetzt beschämt den Kopf senkte. Aber er konnte auch nicht behaupten, dass er sich so stark wie Scarabello fühlte.
    »Also? Hund oder Wolf?«
    »Fuchs«, sagte Mercurio.
    Scarabello legte den Kopf in den Nacken, diese Antwort hatte er nicht erwartet. Andererseits verblüffte ihn dieser Junge jedes Mal wieder aufs Neue. Und Scarabello war sich nicht sicher, ob er diese Überraschungen einfach genießen sollte oder lieber seinem Instinkt nachgeben, der ihm sagte, dass jemand wie Mercurio ihm irgendwann seinen Thron unter dem Hintern wegziehen würde. Er sah ihn schweigend an und nickte langsam. Lächelnd sagte er: »Erklär mir eins, Fuchs: Die Leute vom Rialto erzählen, dass die Alte den Goldschmied übertölpelt hat, weil sie Goldmünzen

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