Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
…« Yeoudiths Stimme klang dünn, und sie sah das Gesicht des Vaters durch einen Schleier von mühsam zurückgehaltenen Tränen.
Yits’aq umarmte sie und sagte: »Liebes, sie könnten sich entschließen, das Schiff zu verlassen und in dem Wirtshaus nach uns zu suchen, um uns für den Streich büßen zu lassen. Und diesen Triumph wollen wir doch einer Horde stinkender Makedonier nicht gönnen, oder?«
Nun konnte Yeoudith ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und schüttelte weinend den Kopf: »Nein …«
»Gut«, sagte Yits’aq. »Und deshalb gehen wir dorthin, wo sie nicht nach uns suchen werden.«
»Und wohin gehen wir?«
»Wir entfernen uns von Venedig.«
»Aber …«
»Und in ein paar Tagen werden wir umkehren. Dieser Umweg ist unserer Gesundheit mit Sicherheit zuträglicher, meinst du nicht?«
Yeoudith nickte und vergrub ihr Gesicht an der Schulter des Vaters. Sie zog die Nase hoch.
»Rotzt du mir etwa mein Hemd voll?«, fragte Yits’aq vorwurfsvoll.
Yeoudith rückte sofort von ihm ab. »Vater! Wie widerlich! So was sagt man nicht zu einer Frau! Du hättest besser einen Sohn haben sollen!«
»Hast du mich nun vollgerotzt oder nicht?«
»Nein!«
»Nein?«
»Nein!«
»Soll ich nachsehen?«
»Vater!«, rief sie empört, und auf ihrem verängstigten Gesicht erschien ein schüchternes Lächeln.
»Komm schon her«, sagte Yits’aq.
»Nein …« Trotzdem näherte sich Yeoudith zögernd, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Yits’aq holte etwas aus seinem samtenen Beutel und reichte es seiner Tochter. »Du hast es ja gehört.« Er schlug sich zwei Mal mit der Hand auf den Kopf. »Gelber Hut. Juden.« Dann setzte er sich mit geradezu feierlicher Miene seine Kopfbedeckung auf und wartete darauf, dass seine Tochter es ihm gleichtat. »Von diesem Moment an sind wir ganz offiziell europäische Juden. Und von jetzt an heiße ich Isacco di Negroponte und du Giuditta.«
»Giuditta …«
»Das klingt gut.«
»Ja …«
»Du siehst sogar noch mit diesem lächerlichen Hut hübsch aus.«
Giuditta errötete.
»Oh nein, jetzt lass dir das bloß nicht zu Kopf steigen, das konnte ich an Frauen noch nie leiden«, sagte Isacco ruppig.
Giuditta sah ihren Vater an und versuchte zu ergründen, ob er sich einen Scherz mit ihr erlaubt hatte.
»Das war kein Scherz.«
Giuditta wurde wieder rot. »Verzeih mir, das wollte ich nicht«, sagte sie hastig.
Isacco gab daraufhin so etwas wie ein Grunzen von sich und verdrehte die Augen zum Himmel. Dann deutete er auf einen schmalen, sumpfigen Pfad, der gen Westen führte. »Der wird uns schon irgendwohin bringen.« Doch vorher hinterließ er absichtlich Fußspuren auf dem Weg, der zum Wirtshaus Zum Bären führte. Dann kehrte er über den Grassaum des Weges zu ihr zurück. »Die Männer werden wahrscheinlich so betrunken und wütend sein, dass sie das gar nicht bemerken. Aber es ist immer besser, gründlich zu sein, merk dir das.«
»Wo hast du denn so etwas gelernt, Papa?«, fragte Giuditta.
»Du musst nicht alles wissen«, antwortete Isacco verlegen. Ohne einen Fuß auf den schlammigen Pfad zu setzen, wandte er sich nach Westen. »Bleib direkt hinter mir. Wir werden eine Weile hier im Schilf laufen, um keine …«
Da hörte er hinter sich ein dumpfes Platschen, gefolgt von einem unterdrückten Klagelaut.
Isacco drehte sich um.
Giuditta war gestolpert und mit dem linken Bein eingesunken.
»Ach zum Donnerwetter, du bist wirklich eine Landplage!«, fluchte Isacco. Er packte sie energisch, hob sie hoch und setzte sie auf sicherem Untergrund ab. »Hör zu …«, fügte er hinzu, da er sein unbeherrschtes Auffahren bereute. »Das eben … war bloß ein Scherz.«
»Tut mir leid, dass ich nicht darüber lachen kann«, erwiderte Giuditta trotzig. »Können wir jetzt weiter?«
Obwohl er wegen ihrer frechen Antwort innerlich schon wieder kochte, drehte Isacco sich um und setzte den Weg zunächst fort, blieb jedoch nach wenigen Schritten stehen. Hochrot im Gesicht, durch die Nasenlöcher schnaubend wie ein wütender Stier, wandte er sich seiner Tochter zu. »Na gut!«, polterte er. »Das war kein Scherz! Zufrieden?«
Giuditta sah ihn schweigend an. Sie versuchte, ihr Gesicht zu wahren, doch ihr Vater bemerkte die Furcht in ihren Augen.
Wie sehr sie doch ihrer Mutter ähnelt, dachte Isacco und bedauerte einmal mehr, dass Giuditta sie nie kennengelernt hatte. »Hör zu, es tut mir leid«, sagte er dann. »Ich weiß einfach nicht so genau, wie man mit einer Tochter
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