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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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…«
    »Hör auf, habe ich gesagt.« Er betrachtete sie. Ihre Augen waren schwarz wie die Nacht.
    Yeoudith versuchte wieder, sich loszumachen, aber ihr Vater hielt sie so unerbittlich fest, dass er ihr beinahe wehtat.
    Die Schaluppe verließ nun das offene Meer und bog in die Pomündung ein. Sanft überwand sie die leichte Welle, wo Salzwasser auf Süßwasser traf.
    Der Fluss erstreckte sich nun vor ihnen, so verheißungsvoll und geheimnisumwoben wie ihre Zukunft. Die Uferdämme, an denen sich der Schilfrohrsumpf ausbreitete, waren schlammig und unregelmäßig. Als sie näher herankamen, flog ein Vogel mit langem, schlankem Hals auf. Ein flaches Boot mit einigen ausgemergelten Fischern an Bord, das mittels einer langen Stange vorwärtsgestoßen wurde, zog Netze hinter sich her. Und im Röhricht konnte man eine Fischerhütte erkennen, die jemand grob aus Pfosten, Stroh und Schilf zusammengebaut hatte.
    Die Sonne ging schnell unter und tauchte die Landschaft in flammende Rottöne. Vom Fluss stieg Nebel auf, der jedoch wegen der Kälte niedrig über dem Wasser hing.
    Erst dann sagte Yits’aq, nachdem er sich schnell nach der Galeere umgedreht hatte, mit gleichmütig klingender Stimme: »Die Schlösser und Ketten haben lang genug gehalten, ihr blöden Dreckskerle.«
    Yeoudith spürte, wie der Griff ihres Vaters nachließ. Dann drehte auch sie sich zu der Galeere um und sah, wie der Kapitän, inzwischen kaum mehr als ein schwarzer Punkt, zu ihnen herüberwinkte und versuchte, die Aufmerksamkeit der Ruderer und des Steuermanns zu erregen. Hinter ihm fuchtelten wie ein vielarmiger Krake auch die anderen Seeleute, und vielleicht schrien sie wie er, doch sie waren außer Hörweite. Verwirrt schaute Yeoudith ihren Vater an.
    Ohne das Gesicht zu verziehen, sagte Yits’aq auf seine trockene Art: »Es tut mir nur leid, dass ich diesen dummen Piraten drei so schöne Truhen überlassen musste.« Er seufzte. »Und dazu all die wertvollen Steine unserer Insel …«
    »Steine …?«
    »Was glaubst du denn? Hätte ich die Truhen vielleicht lieber mit Gold und Silber füllen sollen?« Er verstummte und zog sie wieder zu sich heran.
    Yeoudith betrachtete das Profil ihres Vaters mit der edlen, schlanken Hakennase und dem fliehenden Kinn, auf dem sich ein kleiner Spitzbart kräuselte. Die Welt von Yits’aq Qalonimus di Negroponte war weitaus komplizierter, als sie es sich vorgestellt hatte. Aber dieser starke, warme Griff genügte, damit sie sich sicher fühlte. Auch wenn sie in den letzten Tagen erfahren hatte, dass er ein Scharlatan und ein Betrüger war. Sie runzelte die dichten, pechschwarzen Augenbrauen, ließ den Kopf sinken und lehnte ihn gegen die Schulter ihres Vaters.
    Ihr altes Leben war Vergangenheit, und nun begann ein neues. Mit neuen Regeln.
    »Steine«, wiederholte sie und lachte leise.

4
    M an hatte sie auf einem schiefen, im Wasser schwankenden Steg ausgesetzt. Der Steuermann hatte mit dem Arm nach Nordosten gewiesen und dazu in holprigem Italienisch gesagt: »Da Stadt Venedig.« Während die Matrosen sich in der Schaluppe entfernten, hatte der Steuermann sich noch einmal nach ihnen umgedreht, ein zweites Mal nach Nordosten gedeutet und gerufen: »Da Straße. Zwei Meilen. Wirtshaus Zum Bären.« Schließlich hatte er sich noch ein paarmal auf den Kopf geschlagen und gebrüllt: »Gelber Hut! Juden!«
    Yits’aq und Yeoudith blieben auf dem Steg stehen und sahen zu, wie die Schaluppe im Nebel verschwand. Nun waren sie allein. Allein in einer unbekannten Welt. Yits’aq deutete mit dem Arm nach Nordosten und sagte mit übertriebenem Akzent: »Da Stadt Venedig.«
    Yeoudith lachte zwar, wirkte jedoch einigermaßen verloren.
    » Ribono Shel Olam, der Herr des Universums, beschützt uns im Schatten seiner Flügel«, sagte Yits’aq. »Sorge dich nicht.«
    Jetzt richtete Yeoudith den Arm nach Nordosten und wiederholte: »Wirtshaus Zum Bären. Hunger.«
    Yits’aq lächelte sie traurig an: »Es tut mir leid, Liebes, aber wir können nicht dorthin gehen.«
    »Aber … warum denn nicht?«
    »Der Kapitän wird nicht gerade glücklich über den Scherz mit den Steinen sein«, erklärte Yits’aq. »Ich habe alles darangesetzt, dass sich die Männer auf die Truhen konzentrieren, damit sie nicht plötzlich auf den Gedanken kämen, uns die Kehle durchzuschneiden. Sie sollten glauben, sie hielten einen Schatz in den Händen, und deshalb lohnte es sich für sie nicht, den Galgen zu riskieren. Verstehst du, was ich meine?«
    »Nein

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