Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Bitte.
Der Kapitän wollte lächeln, aber seine Miene geriet eher zu einem nervösen Grinsen. »Geht … sonst werdet Ihr unterwegs noch von der Dunkelheit überrascht. Und die Welt ist voll schlechter Menschen.«
»Ja«, sagte Yits’aq nickend, ehe er schicksalsergeben den Kopf senkte. Dann schob er seine Tochter zu der Strickleiter, die die Seeleute hinabgelassen hatten. »Gehen wir, mein Kind.«
In dem Moment löste sich ein alter Seemann, der vom Skorbut gezeichnet war, aus der Mannschaft und warf sich Yits’aq zu Füßen. »Berührt den Qalonimus, oh Herr, damit ich von dem Übel geheilt werde«, flehte er.
Der Kapitän versetzte dem Alten einen heftigen Fußtritt und knurrte verärgert: »Verfluchter Dummkopf.« Dann wandte er sich zu Yits’aq und versuchte, den Vorfall herunterzuspielen. »Ihr müsst gehen …«
»Gestattet, Kapitän. Es dauert nur einen Augenblick«, sagte Yits’aq. Er beugte sich über den Mann und musterte seine Zähne, das Zahnfleisch und die blutunterlaufenen Stellen am Hals. »Du glaubst noch an den Qalonimus?«, fragte er ihn erstaunt.
»Aber gewiss, Herr«, sagte der alte Seemann.
»Sehr gut«, seufzte der Betrüger und dachte mit Wehmut an die alten Zeiten, als noch jeder Seemann Italiens auf die wundersamen Kräfte des Qalonimus vertraute und drei Silbersoldi dafür bezahlte, ihn um den Hals zu tragen.
»Berührt den Qalonimus, ehrwürdiger Herr«, sagte der Alte noch einmal.
Durch die Mannschaft ging ein ungeduldiger Ruck, der sich von einem zum anderen übertrug, aber niemand sagte etwas.
Yits’aq Qalonimus di Negroponte beugte sich über den Seemann und nahm das Amulett in die Hand, das ihn vor Jahren reich gemacht hatte. Durch die große, schmiedeeiserne Platte wog es schwer in seiner Hand. Sonst war das Ledersäckchen nur mit einfachen Wiesenkräutern gefüllt, die hinter seinem Haus wuchsen und die eine alte, inzwischen verstorbene Frau für ein paar Münzen in den Beutel eingenäht hatte. Yits’aq schloss die Augen und murmelte leise: »Im Namen der Heiligen, deren Name verloren gegangen ist, und kraft meines Blutes, dasselbe, das einst durch die Adern meines wundertätigen Vorfahren, des Arztes Qalonimus, floss, übertrage ich diesem wundersamen Heilmittel neue Wirkungskraft.« Dann öffnete er die Augen, ließ das Amulett los und legte beide Hände auf den Kopf des Seemanns. »Nimm hier meine berakhah«, sagte er feierlich. »Du bist gesegnet und gerettet.« Dann wandte er sich zu seiner Tochter um, ließ ein Lächeln über sein Gesicht huschen, halb verlegen und halb verschwörerisch, da sie jetzt ja Bescheid wusste, und sagte zu ihr: »Los, gehen wir.«
Yeoudith hängte sich die Tasche um, die sie sich selbst aus einem farbenfrohen persischen kelim cicim genäht hatte, raffte den Rock bis zu den Knien, wodurch sie die Blicke der gesamten Mannschaft auf ihre hübschen Beine zog, und stieg die Strickleiter hinunter, die an der Längsseite der Galeere baumelte. Mit einem geschickten Sprung landete sie in der Schaluppe. Ihr Vater verabschiedete sich noch einmal vom Kapitän und folgte ihr.
»Fertig – los«, rief der Steuermann, und die Seeleute ließen gleichzeitig ihre Ruder ins Wasser sinken. Die Schaluppe bewegte sich zunächst nur langsam, während die Hölzer in den Dollen ächzten, wenig später gewann sie an Geschwindigkeit und glitt schnell über das Wasser, dem trägen Fluss entgegen.
Yeoudith schaute zu der Galeere zurück und sah, wie sich der Kapitän und die Mannschaft auf die wertvollen Truhen stürzten. Besorgt wandte sie sich an ihren Vater.
»Ich weiß, mein Kind. Die Heuschrecken fallen bereits über ihre Beute her«, sagte Yits’aq leise, sodass die Ruderer ihn nicht hören konnten.
»Aber unsere Sachen …?«, sagte Yeoudith beunruhigt.
Der Vater nahm sanft ihren Kopf in die Hände und drehte ihn in Richtung der Flussmündung. »Schau nach vorn«, sagte er zu ihr.
Yeoudith begriff nicht gleich. Vielmehr verspürte sie eine große Beklemmung in der Brust, über der sich seit einem Jahr das Gewand leicht spannte. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sich gegen diese Ungerechtigkeit auflehnen. »Das sind Diebe, Vater«, flüsterte sie aufgeregt.
»Ja, mein Schatz«, erwiderte Yits’aq ruhig.
Yeoudith versuchte, sich aus der Umarmung ihres Vaters zu befreien. »Wie kannst du so etwas einfach hinnehmen?«, zischte sie.
Yits’aq hielt sie gewaltsam zurück. »Jetzt hör auf damit!«, befahl er ihr streng.
»Aber Vater
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