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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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sah ihn traurig, aber würdevoll an. Sie versuchte zu lächeln und reichte ihm die Kette. »Leg sie mir um, mein Junge«, sagte sie zu ihm. »Mir ist kalt. Ich glaube, heute Nacht werde ich sterben.«
    Mercurio sprang abrupt auf, sodass sein Stuhl umfiel. »Red nicht so einen Unsinn. Wo ist das Brennholz?«
    »Leg mir die Kette um, mein Junge«, sagte Anna. »Ich möchte sie tragen, wenn ich sterbe.«
    »Hier stirbt niemand«, entgegnete Mercurio grob. »Wo ist das Brennholz?«
    Anna lächelte zerstreut. »Hier ist kein Brennholz mehr.«
    Mercurio blieb einen Augenblick stehen und starrte sie an. Die Kerze drohte zu verlöschen. »Warte hier auf mich«, sagte er bestimmt.
    »Wohin sollte ich denn gehen?«, sagte Anna traurig.
    »Warte hier auf mich«, wiederholte Mercurio und ging zur Tür. Neben dem Haus hatte er einen Handkarren entdeckt. Als er ihn auf die Straße zog, quietschte ein Rad, das schief in der Achse hing. Mercurio hoffte, dass es halten würde. Als er das Haus von Annas Nachbarn erreichte, klopfte er dort.
    Eine zahnlose Alte öffnete ihm misstrauisch.
    »Wer ist da?«, fragte eine tiefe Stimme aus dem Inneren des Hauses.
    »Ein Junge«, antwortete die Frau und sah Mercurio aus ihren faltenumrandeten Augen an. »Er hat einen Wagen bei sich.«
    »Sag ihm, wir kaufen nichts«, rief der Mann.
    » Ich will doch etwas kaufen«, sagte Mercurio laut ins Hausinnere hinein.
    Die Alte rührte sich nicht und sagte kein Wort. Kurz darauf erschien ein kräftiger Mann, der eine Decke über seine Schultern gezogen hatte. Sein Gesicht war rot angelaufen, ein Netz roter Äderchen überzog seine Nase, und er stank nach Wein. Seine Augen waren genauso klein wie die der Alten. »Hau ab«, sagte er zu ihr.
    Die Alte duckte sich und wich hastig zurück, als hätte sie einen Schlag erwartet. »Der gefällt mir nicht«, sagte sie leise.
    »Halt’s Maul«, schimpfte der Mann und sah Mercurio an. »Meine Mutter traut Fremden nicht.«
    »Ich brauche Brennholz, Brot, Wein, Speck und eine Suppe«, sagte Mercurio.
    Der Mann rührte sich nicht.
    »Ich kann bezahlen«, sagte Mercurio.
    »Wie viel?«, fragte die Alte.
    »Halt’s Maul!«, brüllte der Mann und erhob drohend eine Hand.
    Die Alte legte schützend die Hände vors Gesicht.
    »Es ist für Anna del Mercato«, fügte Mercurio hinzu.
    »Ich dachte, die wäre schon gestorben«, brummte die Alte.
    Mercurio merkte, wie Wut in ihm aufstieg. »Habt ihr das, was ich brauche, oder soll ich das Silberstück jemand anderem geben?«
    »Ein Silberstück?«, fragte die Alte.
    »Halt endlich das Maul!«
    »Ein Silberstück, hat er gesagt!«, rief die Alte.
    Der Mann drehte sich plötzlich um und schlug sie auf den Kopf.
    Die Alte taumelte stöhnend zurück.
    »Zwei«, sagte der Mann zu Mercurio.
    Der würdigte ihn keiner Antwort, sondern nahm die Deichsel des Wagens und tat so, als wollte er losziehen.
    »Na gut, ein Silberstück«, sagte der Mann hastig und packte ihn am Arm. Er wandte sich an seine Mutter, die sich immer noch den Kopf an der Stelle massierte, wo er sie geschlagen hatte. »Hol Brot und Speck und füll Suppe in einen Tonkrug. Sie werden ihn uns morgen zurückbringen.« Er trat vor die Tür und bedeutete Mercurio, ihm zu folgen.
    »Der Wein«, erinnerte ihn Mercurio.
    Der Mann zögerte. »Und Wein, Mutter«, brüllte er ihr hinterher. Dann ging er zur Rückseite des Hauses. Er lud das Brennholz auf den Karren, und sie kehrten zur Eingangstür zurück.
    Die alte Frau wollte ihm die Lebensmittel reichen, aber ihr Sohn hielt sie auf.
    »Zeig mir erst das Geld«, verlangte er.
    Mercurio nahm ein Silberstück und legte es ihm in die Hand.
    Der Mann winkte seiner Mutter, und die alte Frau lud die Lebensmittel auf den Wagen.
    Mercurio zog los, ohne sich von ihnen zu verabschieden.
    Er trug das Holz ins Haus und machte Feuer im Kamin. Die Kerze war erloschen, aber Anna del Mercato saß noch immer am Tisch. Mercurio half ihr aufzustehen und setzte sie nahe an den Kamin, so wie sie es mit ihm getan hatte. Anna ließ sich widerstandslos herumführen wie eine Marionette und hielt dabei die Kette in ihrer Faust fest umklammert.
    Mercurio beobachtete sie, während das Feuer im Kamin knisternd aufloderte. Dann ging er hinaus und holte die Lebensmittel. Er wärmte die Suppe und goss sie in eine Schale, die er auf dem Tisch gefunden hatte, schnitt Brot und Speck auf, schenkte Wein ein und reichte nacheinander Anna alles an.
    »Was habe ich getan, um all das zu verdienen, mein Junge?«,

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