Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Benedettas Anteil ab und reichte ihn ihr.
»Gibst du mir jetzt den Laufpass?«, fragte Benedetta ihn keck, aber man konnte hören, wie ihre Stimme dabei bebte. »Das mit den Titten war wirklich bloß ein Scherz …«
»Ich gebe dir nur deinen Anteil …«
»Gibst du mir den Laufpass?«, wiederholte Benedetta.
»Nein. Wir werden weiter zusammen arbeiten«, sagte Mercurio und blickte ihr dabei in die Augen. Er wusste genau, dass er sie anlog. »Zumindest hoffe ich das. Aber ich möchte mein Leben ändern … Ich will ein Ziel haben …«
»Immer noch dieser Schwachsinn? Was habt ihr bloß alle? Zolfo mit diesem Mönch und du mit dieser blöden Alten …«
»Nenn sie nicht so!«, fuhr Mercurio auf.
»Wohnst du bei ihr?«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Also wohnst du bei ihr.«
»Das geht dich nichts an, Benedetta.«
»Und wenn ich da auch wohnen möchte?«
Mercurio starrte sie erschrocken an.
Benedetta lachte auf. »Aber wer will da schon hin? Nur keine Bange, entspann dich, du Trottel«, sagte sie und versuchte dabei, heiter zu erscheinen. »Zumindest weiß ich jetzt, wo du dich versteckst.«
Mercurio sah sie noch eine Weile prüfend an. »Ich muss los«, sagte er dann. Er öffnete die Tür und ging schweren Herzens die Treppe hinunter. Er wusste nicht, wie er sich Benedetta gegenüber verhalten sollte. Vielleicht hätte er sie doch bitten sollen, zusammen mit ihm bei Anna del Mercato zu wohnen. Aber er konnte sich einfach nicht dazu durchringen. Anna gehörte ihm, sagte er sich, und er wollte sie mit niemandem teilen.
Von schlechtem Gewissen gequält, durchquerte er den stinkenden Gastraum im Erdgeschoss und verließ das Haus, ohne sich noch einmal umzuwenden.
Etwas weiter vor ihm sah er einen Mann durch die Calle taumeln. Offensichtlich betrunken bewegte dieser sich mit unsicheren Schritten vorwärts und stützte sich dabei an den von der salzigen Meeresluft angegriffenen Hauswänden ab.
Zwei Edelmänner warfen ihm einen verächtlichen Blick zu, als sie an ihm vorübergingen.
Isacco deutete eine Verbeugung an. »Benötigt Ihr meine Dienste als Arzt, edle Herren?«, fragte er mit schwerer Zunge. »Ich habe meine Laufbahn als Doktor gut begonnen. Ich habe nämlich meine Frau umgebracht. Und dann habe ich Hauptmann Lanzafames Hure getötet. Wenn ihr also jemanden braucht, der Eure Ehefrauen umbringt, braucht ihr mich bloß zu rufen.« Er lachte höhnisch auf, versuchte eine zweite Verbeugung, bei der er jedoch hinfiel und mit dem Gesicht im Straßenschmutz landete. »Ich bin Dottor Ammazzadonne, der Doktor Frauentöter, stets zu Euren Diensten«, brüllte er den beiden Edelmännern hinterher, die hastig davoneilten.
Da erst erkannte Mercurio ihn. »Doktor!«, rief er und rannte auf ihn zu.
Isacco sah ihn mit von zu viel Wein getrübten Augen an. Das Gefühl, bei Marianna, Lanzafames Geliebter, versagt zu haben und an ihrem Tod schuld zu sein, hatte ihn in tiefe Verzweiflung gestürzt. Isacco wusste nicht mehr, wie viele Flaschen er mit dem Hauptmann geleert hatte, er erinnerte sich auch nicht mehr, wie oft er ihm um den Hals gefallen war und ihm unter Tränen vom Tod seiner eigenen Frau erzählt und sich bezichtigt hatte, sie umgebracht zu haben. Und er wusste auch nicht mehr, dass der Hauptmann ihn irgendwann vor die Tür gesetzt hatte und er die Stufen hinuntergekugelt war, weshalb nun seine Lippe blutete, der Arm ihm wehtat und seine Hose an den Knien und am Hintern zerrissen war. Er erinnerte sich einzig daran, dass er zu Hause Giudittas ängstlichen Blick nicht mehr ertragen hatte. Er hatte Donnola weggestoßen, als dieser versucht hatte, ihn aufzuhalten, und war geflüchtet, zutiefst beschämt darüber, dass seine Tochter ihn in diesem Zustand gesehen hatte.
»Doktor, was ist Euch denn zugestoßen?«, fragte Mercurio, während er versuchte, ihm aufzuhelfen.
Isacco bemühte sich, seinen unbekannten Helfer klar zu erkennen, was ihm schließlich auch gelang. »Du bist der Betrüger!«
»Redet doch leiser, Doktor«, bat Mercurio und half ihm endgültig auf die Beine.
Isacco musterte Mercurio und nickte dann. Seine Augen waren gerötet. In seinem vernebelten Hirn tauchte plötzlich wieder das Gespräch auf, das er am Vortag mit Donnola wegen Giudittas merkwürdigem Betragen geführt hatte, und er erinnerte sich daran, dass der Grund dafür ebendieser Junge war, der in ganz Venedig nach ihnen suchte. Mit zittriger Hand packte er Mercurio am Kragen. »Lass meine Tochter in Ruhe«, sagte er
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