Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
machte sich Sorgen. Den ganzen Tag über hörte Marianna nicht auf, zu fantasieren und sich unruhig hin und her zu werfen. Weder Weihrauch noch Teufelskralle hatten das Fieber senken können, und für ein linderndes Bad im Eiswasser war Marianna viel zu schwach. Das würde sie nicht überleben.
Als es Abend wurde, hatte Lanzafame sich immer noch nicht blicken lassen. Isacco verbrachte die Nacht in der Kammer bei Marianna, die kein einziges Mal mehr richtig zu sich kam.
Kurz vor Tagesanbruch hatte sie einen so starken Hustenanfall, dass sie keine Luft mehr bekam. Sie rief Lanzafames Namen, drückte Isaccos Hand und verkrampfte sich kurz. Dann lockerte sich ihr Griff, und ihr Körper entspannte sich. Sie war tot.
Im gleichen Moment ging die Tür auf, und Hauptmann Lanzafame erschien auf der Schwelle. Hinter ihm stand ein Priester, auf dessen leicht schmuddeligem Gewand sich an den Schultern Kopfschuppen gesammelt hatten. Der Hauptmann wurde blass, als er die Dienerin weinen hörte. Er sah Isacco an. Der schüttelte den Kopf. Lanzafames Gesicht war gezeichnet von der Nacht, die er trinkend in irgendeiner Schenke verbracht hatte. Erst im Morgengrauen hatte er sich zu einer Entscheidung durchringen können. Er drehte sich zu dem Priester um, packte ihn beim Kragen und schob ihn ins Schlafzimmer.
»Hier lang«, sagte er. »Gib ihr die Letzte Ölung.«
Die stumme Dienerin schluchzte verzweifelt auf, die Laute, die sie dabei ausstieß, klangen schrill wie das Schreien eines Esels.
»Hast du wirklich geglaubt, ich würde eine Hure heiraten?«, schrie der Hauptmann sie an. Und während der Priester die rituellen lateinischen Worte murmelte, ging der Hauptmann auf jeden Gegenstand im Raum los und zerstörte ihn, als müsste er eine furchtbare Schlacht schlagen. Er verwüstete die ganze Wohnung, dann sank er in die Knie und sah Isacco verzweifelt an.
»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte er leise.
35
N ach fast zehn Tagen vergeblicher Suche hatte Mercurio den Mut verloren. Donnola schien wie vom Erdboden verschluckt. Keiner wusste etwas über ihn, er ließ sich weder an den üblichen Plätzen noch in seinen Stammschenken blicken. Jemand meinte sogar, er wäre vielleicht in einem Kanal ertrunken. Die meisten wussten allerdings zu berichten, dass er sich jetzt als Gehilfe bei einem Doktor verdingt habe. Aber von diesem Arzt hatte noch niemand in Venedig gehört, und keiner wusste, wo er wohnte.
Mercurio versuchte es wieder einmal in der Taverne Zum Nackten Mann, einer miesen Spelunke, in der Donnola sonst seine Abende verbrachte. Er sah sich im Lokal um, doch von dem kleinen Mann mit dem spitzen Kopf keine Spur.
Als er in die Calle del Sturion kam, sah er, wie aus der Ruga Vecchia San Giovanni eine kleine Gruppe gut gekleideter junger Männer kam. Einer davon war besonders elegant, er humpelte und taumelte beim Gehen und hatte seinen verkrüppelten Arm ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. Als Mercurio Fürst Contarini erkannte, drehte er auf der Stelle um und rannte zum Riva del Vin. An der Straßenecke schaute er zurück, aber weder der Fürst noch sein Gefolge hatten ihn entdeckt.
Erleichtert atmete Mercurio auf und wollte schon weitergehen, als er bemerkte, wie der Fürst an die Tür einer armseligen Behausung klopfte. Neugierig blieb er stehen, um zu beobachten, was weiter passieren würde. Zu seiner Überraschung öffnete Zolfo die Tür und bat den Fürsten mit einer Verbeugung herein. Hinter ihm stand der Mönch, der sich ebenfalls verneigte. Der Fürst humpelte hinein, gefolgt von seinen Männern.
Daraufhin näherte sich Mercurio dem Haus und spähte durch das Fenster im Erdgeschoss, aus dem ein schwacher Lichtschein auf die Straße fiel. Er sah ein karges, bis auf zwei Strohlager leeres Zimmer. Das nächste Fenster gab den Blick frei auf einen etwas größeren, aber gleichermaßen ärmlichen Raum. Hier gab es wenigstens einen Tisch und vier Stühle, einen Kamin und einen Schreibtisch. Am Tisch saßen Fürst Contarini und Fra’ Amadeo. Zolfo stand hinter dem Mönch, und Contarinis Männer hatten sich im Raum verteilt. Einer näherte sich gerade dem Fenster.
Mercurio wich zurück und presste sich mit angehaltenem Atem an die Mauer.
Der Mann sah nach draußen. Doch bevor er zu einer gründlicheren Erkundung den Kopf aus dem Fenster strecken konnte, trat einer seiner Gefährten zu ihm und raunte ihm etwas zu. Daraufhin wandte der Mann seine Aufmerksamkeit wieder dem Raum zu.
»Lies, Mönch«, sagte
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