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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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in sich auf. Der süßliche Fäulnisgeruch der Lagune lag über allem, besonders, wenn es so schwül und windstill war wie an diesem Tag. Ein leichter Dunst schwebte über dem Boden und benetzte die Erde des Platzes. Giuditta raffte ihr Gewand und wich schlammigen Pfützen aus, während sie den Platz überquerte und einen Laden mit gebrauchten Stoffen ansteuerte, in dem sie manchmal Reste kaufte.
    »Das ist nicht derselbe Hut wie gestern, habe ich recht?«, fragte sie der Mann, der den kleinen Laden führte.
    Giuditta schüttelte den Kopf, senkte den Blick und schaute dann die Stoffreste durch.
    »Der ist aber hübsch«, sagte eine Kundin. »Wo hast du den gekauft?«
    »Den habe ich selbst genäht«, antwortete Giuditta schüchtern, ohne aufzusehen.
    »Du?«, fragte die Frau verwundert.
    Giuditta zuckte mit den Schultern und verließ eilig den Laden. Sie hatte jedoch erst wenige Schritte Richtung Cannaregio zurückgelegt, als die Frau aus dem Laden sie einholte.
    »Warte, wohin willst du denn so eilig?«, fragte sie, während sie sich zu ihr an die Seite gesellte.
    »Ich muss Einkäufe erledigen, entschuldigt mich bitte«, erwiderte Giuditta.
    »Auf dem Markt?«
    »Ja, genau.«
    »Oh, sehr gut. Da muss ich auch hin«, sagte die Frau lächelnd, hakte sich bei ihr unter und wandte sich Richtung Gemüsemarkt, der unmittelbar hinter den Sottoporteghi des großen Platzes im Ghetto Vecchio lag, sobald man das zweite Tor, das am Abend verriegelt wurde, hinter sich gelassen hatte.
    »Venedig, hör mich an!«, schrie Bruder Amadeo vor dem Tor. »Bereue deine Sünden! Verjage das unreine Judenpack!«
    »Ach, dieser Mönch!«, rief die Frau aus. Aus ihrer Stimme klangen Wut und Angst.
    Giuditta wäre gerne allein gewesen, aber sie wusste nicht, wie sie die Frau loswerden sollte.
    »Ich heiße Octavia …«, sagte diese nun und schüttelte den Kopf, als wollte sie auf diese Weise die durchdringende Stimme des Mönchs daraus vertreiben. »Ich weiß, ich weiß, das ist kein jüdischer Name, aber mein Vater hatte eine Vorliebe für die alten Römer … Du weißt doch, wer Octavia war?«
    Giuditta schüttelte schüchtern den Kopf.
    »Neros Kindfrau!«, fuhr die andere fort. »Was für ein dummer Einfall, den mein verrückter Vater da gehabt hat, Gott hab ihn selig.« Sie packte Giudittas Arm etwas fester. »Los, spring!«, rief sie angesichts einer großen Pfütze und hüpfte lachend über sie hinweg.
    Giuditta tat es ihr instinktiv nach und musste lächeln.
    »Manchmal genügt schon ein kleiner Sprung, nicht wahr?«, sagte Octavia.
    »Wie meint Ihr das?«
    »Es genügt, etwas Dummes zu machen, um unsere Steifheit zu durchbrechen, und alles sieht gleich ganz anders aus … einfach leichter.« Octavia zwinkerte ihr zu.
    Giuditta lächelte erneut.
    »Also, wenn ich mich nicht irre, bist du die Tochter des Arztes, der … der mit unserem Bewacher befreundet ist.«
    »Hauptmann Lanzafame«, sagte Giuditta nickend.
    »Und du heißt …?«
    »Giuditta.«
    »Und weiter?«
    »Di Negroponte.«
    »Ach, deswegen unterscheidet ihr euch so von uns!«, rief Octavia aus. »Wir anderen kommen fast alle aus Mitteleuropa. Also, wir sind Deutsche. Hört man das, wenn wir reden?«
    Giuditta lächelte. »Ein wenig.«
    »Das bringt dich zum Lachen?«
    »Nein …«
    »Los doch, ich bin nicht beleidigt.«
    »Na ja, ein bisschen schon …«
    Octavia lachte herzhaft auf. Dann wurde ihr Blick wieder traurig. »Ich vermisse unsere Muttersprache, weißt du? Hier denken alle, dass es in Deutschland nur kalt ist. Dabei ist es ein Land voller Kraft und Energie …« Sie sah Giuditta an und seufzte auf. »Eine Frau folgt eben dem Ehemann, meine Liebe. Wenn es nach mir gegangen wäre, wären wir dort geblieben. Aber mein Mann wollte eine Pfandleihe eröffnen, und so sind wir hier in Venedig gelandet. Er hat sich mit Anselmo del Banco zusammengetan.« Sie zuckte mit den Schultern. »Allerdings weiß ich nicht, worin der Reiz liegt, anderen Leuten Geld zu leihen. Wir waren Drucker, weißt du? In Mainz. Dort gibt es die besten Drucker von ganz Europa. Doch hier in Venedig hätten wir niemals als Drucker arbeiten dürfen … nur weil wir Juden sind. Wie dumm kann der Mensch wohl sein? Die Venezianer könnten völlig umsonst alle Kniffe und die fortschrittlichsten Techniken erlernen, aber weil wir keine Christen sind …« Octavia schnaubte empört auf. »Der Mensch ist und bleibt dumm, so ist es eben. Und damit meine ich nicht nur die Christen. Oh nein, auch unter den

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