Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
inne, dann packte er sein Kruzifix fester und streckte es Isacco entgegen, während er immer wieder beschwörend wiederholte: » Va de r e tro, Satanas. Nimm deine dreckigen Pfoten von diesem armen kranken Kind. Va de r e tro, Satanas. Du wirst die Seele dieses unschuldigen Geschöpfes niemals bekommen.«
    »Hier muss man einen Schnitt machen, gute Frau«, wiederholte Isacco, während er langsam zurückwich. Dabei sah er die Frau an, als wollte er sagen, dass die Entscheidung nun bei ihr lag.
    »Geht«, sagte da die Frau schweren Herzens.
    »Du sollst den Gottlosen keine Unterkunft gewähren, steht in den Heiligen Büchern geschrieben«, deklamierte der Prediger fanatisch, »damit ihre Sünden dein Haus nicht mit Krankheit vergiften.«
    Sobald sie auf dem Gang allein waren, sagte die Frau mit abgewandtem Gesicht zu Isacco: »Geht mit Eurer Tochter ins Zimmer. Ich werde doch in der Nacht niemanden vor die Tür setzen … auch wenn er Jude ist.«
    »Es muss ein Schnitt gemacht werden, Frau«, wiederholte Isacco noch einmal.
    Die Wirtin schüttelte heftig den Kopf, als wollte sie Isaccos Worte nicht hören. »Zeigt Euch nicht«, sagte sie. Dann gab sie ihm eine Talgkerze und einen Feuerstein.
    Isacco und Giuditta schlossen sich in ihrem Zimmer ein.
    »Das ist alles meine Schuld«, sagte Giuditta.
    Isacco antwortete ihr nicht, berührte sie nicht, sah sie nicht an. Ohne ein Wort streckte er sich auf dem Strohlager aus.
    Bei Tagesanbruch war das Mädchen tot.
    Isacco wusste es, weil die verzweifelten Schreie der Mutter durch das Gasthaus hallten. Und im selben Moment läuteten die Glocken dumpf zu den Laudes, als wollten sie den Schmerz mit ihr teilen. Die gedämpften Schläge hallten lange im dichten Nebel nach. Im Hintergrund hörte man den Mönch ein düsteres Gebet auf Latein sprechen.
    »Steh auf, schnell«, sagte Isacco zu seiner Tochter. »Wir müssen weiter.«
    Sie öffneten die Tür ihres Zimmers, gingen möglichst leise die Treppe hinunter und strebten dem Ausgang zu.
    Gerade als sie im Hof waren, wo wenige Pfosten und ein Netz aus Binsen einen Zaun für die im Boden scharrenden Hühner bildeten, öffnete die Wirtin das kleine Fenster im oberen Stockwerk, damit die Seele ihrer Tochter sich zum Himmel emporschwingen konnte. Als sie die beiden davonschleichen sah, schrie sie, überwältigt vom eigenen Schmerz und unter dem Eindruck der nächtlichen Gebete des Mönches, mit dem sie gemeinsam am Bett ihrer Tochter gewacht hatte: »Verdammte Juden! Ihr habt Unheil in mein Haus gebracht! Möge Gott Euch verfluchen!«
    »Dreh dich nicht um, lauf einfach weiter!«, befahl Isacco Giuditta. Aus den umliegenden Häusern kamen ihnen immer mehr Bauern entgegen, die zu ihrer Nachbarin eilten, um sie zu trösten und gemeinsam mit ihr zu beten.
    »Möge Gott Euch verfluchen!«, schrie die Wirtin nun völlig von Sinnen.
    Ein Bauer mit schaufelgroßen Händen sah Vater und Tochter hasserfüllt an und spuckte dann vor ihnen aus.
    Nun trat der Mönch neben die Wirtin, beugte sich mit dem Kruzifix in der Hand so weit aus dem Fenster, dass er hinauszufallen drohte, und brüllte mit seiner dröhnenden Predigerstimme: »Satansvolk! Satansvolk!«
    Isacco bemerkte, dass Giuditta sich umsehen wollte. »Dreh dich nicht um!«, befahl er ihr leise und entschieden. »Und fang nicht an zu rennen!«
    »Juden, Satansvolk«, wiederholte eine Alte aus der kleinen Schar einfacher Bauern. Und andere fielen mit ein und beschimpften Vater und Tochter.
    Da traf der erste Stein Isacco in den Nacken. Er sackte für einen Moment in die Knie, schob sich dann den gelben Hut zurecht und lief weiter, ohne zu rennen, wie es ihm seine Erfahrung als Betrüger riet. Aus dem Augenwinkel sah er, das seine Tochter ihm gehorsam mit durchgedrücktem Rücken folgte, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
    »Verschwindet, verfluchtes Judenpack!«, hörten sie ein letztes Mal die Wirtin, dann bogen Vater und Tochter um die Ecke auf die Hauptstraße.
    Sie hatten ungefähr eine Viertelmeile in normalem Schritttempo und völligem Schweigen hinter sich gebracht, ohne sich auch nur einmal anzusehen, als Isacco in der Nähe eines Wäldchens den Weg verließ und dann weiter querfeldein ging. Als sie den großen Stumpf eines Baums erreichten, in den der Blitz eingeschlagen hatte, setzte er sich und bedeutete seiner Tochter, es ihm gleichzutun. Er nahm den Laib Brot vom Vorabend aus seinem Beutel und brach ihn entzwei. »Iss«, sagte er. »Etwas anderes haben wir

Weitere Kostenlose Bücher