Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
nicht.«
Giuditta holte aus ihrem Beutel drei hart gewordene Plätzchen aus Roggenmehl mit Sultaninen und Mandeln. »Die hier haben wir auch noch«, erwiderte sie unter Tränen.
Ihr Vater umarmte sie. »Ich hätte niemals geglaubt, dass ein paar alte Plätzchen mich einmal so glücklich machen könnten«, sagte er.
Sie hatten ihr karges Mahl gerade beendet, als sie von der Straße her laute Stimmen hörten.
»Nimm den Hut ab«, sagte Isacco.
»Aber das Gesetz …«, wandte Giuditta ein.
»Nimm diesen verdammten Hut ab!«, zischte Isacco. Dann stand er auf und ging zu einer Stelle, von der aus er die Straße überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Er kniete sich hinter einen Busch. Giuditta hockte sich neben ihn. Sie sahen den Mönch an der Spitze eines jämmerlichen Haufens von Bauern mit Sensen und Mistgabeln über der Schulter vorüberziehen.
»Das sind schändliche Gotteslästerer, die unseren Herrn Jesus Christus nicht als das Lamm Gottes anerkennen!«, schrie der Prediger mit seiner Stentorstimme.
»Amen!«, antwortete ihm der Chor der Bauern.
»Das sind Gottlose, die über die Verkündigung und die unbefleckte Empfängnis spotten!«
»Amen!«
»Diese erbärmlichen Kreaturen sind nicht würdig, im Angesicht unseres Herrn zu leben!«
»Amen!«
Ein Bauer löste sich aus dem Chor und schrie: »Und sie stehlen unsere Neugeborenen, um ihr Blut zu trinken!«
Da schrien alle laut und einmütig: »Tod den Juden!«
Giuditta drängte sich erschreckt näher an ihren Vater. »Warum?«, fragte sie beinahe unhörbar mit tränenüberströmtem Gesicht.
Isacco sah ihr streng in die dunklen, großen Augen. »Auch wenn ich ›mein Kind‹ zu dir sage, bist du doch keins mehr«, raunzte er sie an. »Jetzt hör endlich auf zu flennen.«
Giuditta machte sich von ihrem Vater los. Sie glaubte, ihn zu hassen, doch dann merkte sie, dass sie tatsächlich aufgehört hatte zu weinen. Und dass sie nun weniger Angst hatte.
Isacco rückte wieder näher an sie heran und sagte: »Jetzt werde ich dich lehren, wie ein Fuchs zu leben, wenn der Jäger die Hunde losgelassen hat.«
7
D a lang«, keuchte Mercurio, während er Ercole stützte, der immer schwerer wurde, je mehr Blut er verlor.
Sie bogen in die Via dell’Orto di Napoli ein.
Mercurio drehte sich immer wieder besorgt um.
»Keine Sorge, niemand verfolgt uns«, sagte Benedetta.
»Keine Sorge?«, fuhr Mercurio auf. »Ich habe gerade einen Mann umgebracht! Ich habe ihn bestohlen und getötet! Wenn man mich fasst, werde ich zum Tode verurteilt.« Wieder sah er sich um, dann stolperte er weiter vorwärts.
»Lass mich nachsehen«, bot Benedetta ihm an. »Ich bleibe einfach ein wenig zurück.«
»Gut.« Mercurio nickte. »Und du hör endlich auf zu heulen, das hilft doch nichts«, sagte er zu Zolfo. »Drück lieber fest auf seine Wunde.«
Zolfo zog die Nase hoch und presste den Lumpen auf Ercoles Wunde, woraufhin dieser sogleich aufstöhnte. »Entschuldigung …«, sagte der Junge erschrocken.
»Fest pressen, verdammt!«, fluchte Mercurio.
Als sie am Ende der Via del Cavalletto Soldaten auf sich zukommen sahen, verbargen sie sich im Vicolo di Margutta, wo es nach Pferdemist stank, denn auf diese kleine Straße gingen die Stallungen der Häuser. Mercurio war völlig außer Atem. Er spähte vorsichtig in die Via del Cavalletto. Die Glocken von Santa Maria del Popolo läuteten gerade zur Vesper. »Bald kommt ein Karren von Scavamorto vorbei. Da laden wir Ercole drauf.«
Benedetta schaute ihn zweifelnd an.
»Hast du etwa eine bessere Idee?«, fragte Mercurio sie scharf.
Benedetta schüttelte unsicher den Kopf, und Mercurio las Angst in ihren Augen. Die Angst aller Kinder, die für Scavamorto arbeiteten.
Als sie den Karren entdeckten, gab Mercurio sich dem Jungen zu erkennen, der ihn führte. Hinter dem Karren folgte eine kleine Prozession unglücklicher Menschen, die ihm aus erloschenen Augen entgegenstarrten. Um sie herum ging das Stadtleben ungerührt weiter, und alle, auch die Soldaten, wandten den Blick von dem Karren mit diesen Ausgestoßenen ab, die kein Anrecht auf ein ordentliches Begräbnis hatten. Bettler, Huren, Juden, Schauspieler, all diejenigen, die nun in ungeweihter Erde begraben werden sollten.
»Helft mir, ihn hinaufzuschaffen«, sagte Mercurio.
Sie packten Ercole und legten ihn auf die Ladefläche des Karrens.
»Segne meine Tochter, Priester«, flehte eine junge Frau mit tränenverquollenen Augen, küsste Mercurios Hand und zeigte auf
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