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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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erbarmungslosen Blick über die Kinder schweifen. Er schien keines von ihnen wahrzunehmen. Schließlich schaute er noch einmal zu Ercole, der aufgehört hatte zu stöhnen. Der hagere Mann klopfte mit den Knöcheln an dessen Stirn. »Klopf, klopf, jemand zu Hause?« Er lachte, als Ercole schwach jammerte. Dann wiederholte er: »Für den kann man nichts mehr tun. Werft ihn in die Grube.«
    »Nein!«, schrie Zolfo auf und warf sich schützend über Ercole.
    »Hilf ihm!«, sagte Benedetta zu Scavamorto.
    Scavamorto sah wieder Mercurio an.
    »Hilf ihm, bitte«, sagte Mercurio, und nun senkte er den Blick.
    »Bringt ihn in die Hütte«, befahl Scavamorto schließlich.
    Die Kinder der Toten hoben die Trage an und gingen zu einem großen Gebäude aus Holz und Stein, das ohne Bauplan errichtet und je nach Bedarf erweitert worden war.
    Benedetta und Zolfo folgten der Trage.
    Scavamorto starrte Mercurio an. »Aber es wird nichts helfen. Für den kann man nichts mehr tun«, sagte er erneut kopfschüttelnd.
    Mercurio schwieg.
    »Bring mir ein Gefäß mit Bisamgarben- und Schachtelhalmpaste und Vogelknöterichsud«, befahl Scavamorto ihm. »Weißt du noch, wo ich die Medizin aufbewahre?«
    »Ich erinnere mich an alles hier«, antwortete Mercurio. Er drehte sich um und lief zu einer kleinen Hütte mit einem krummen Schornstein.
    »Sehr gut, Mercurio«, flüsterte Scavamorto und folgte dann den Kindern in die Baracke. Dort ordnete er an, dass sie Ercoles Kleidung aufschneiden und so die Wunde freilegen sollten. Er betrachtete sie, ohne ein Wort zu verlieren.
    Zolfo hielt den Atem an, während er sich an Benedetta klammerte.
    Scavamorto sah ihn finster an. »Los, an die Arbeit, wenn du hier heute Abend essen und schlafen willst, Zwerg«, fuhr er ihn barsch an.
    Zolfo wollte etwas erwidern, Tränen der Trauer und der Wut standen in seinen Augen. Doch ehe er auch nur einen Ton herausbrachte, versetzte Scavamorto ihm eine Ohrfeige. »Da draußen steht ein Karren, der abgeladen werden muss«, sagte er. »Los, mach dich an die Arbeit.«
    Benedetta zog Zolfo zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Geh.«
    Scavamorto beachtete sie nicht mehr. Er steckte einen Finger tief in Ercoles Wunde. Der Schwachsinnige stöhnte auf. Dann zog Scavamorto den Finger heraus und roch daran. Er schüttelte den Kopf.
    Zolfo verließ weinend die Baracke.
    »Das gilt auch für dich«, sagte Scavamorto zu Benedetta.
    Benedetta ging mit gesenktem Kopf nach draußen. In der Tür traf sie auf Mercurio, dem sie zuraunte: »Ich hasse ihn.«
    Mercurio ging weiter, ohne etwas zu erwidern, und überreichte Scavamorto, wonach er verlangt hatte.
    »Weißt du, wie man die Letzte Ölung erteilt, Priester?«, fragte Scavamorto lachend. Er richtete Ercole auf und flößte ihm einen Schluck Vogelknöterichsud ein. Dann öffnete er das Gefäß mit der Bisamgarben- und Schachtelhalmpaste, nahm eine Hand voll heraus und rieb sie in die Wunde. Wieder stöhnte Ercole auf, wenn auch leiser. Scavamorto deutete mit dem blut- und salbenverschmierten Finger auf Mercurio. »Das ist pure Verschwendung. Ich weiß nicht, warum ich das tue.« Er betrachtete Ercole. »Du wirst den nächsten Morgen nicht mehr erleben, und das weißt du auch, stimmt’s, du Schwachkopf?«
    Ercole lächelte stumpf vor sich hin.
    »Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich«, sagte Scavamorto. »Legt ihm einen Lappen auf die Wunde, um die Fliegen abzuhalten. Und teilt seine Sachen unter euch auf. Morgen kommt er in die Grube.« Er stand auf und ging.
    Mercurio zitterte vor Wut. »Gebt ihm eine Decke. Und sollte einer von euch versuchen, ihm auch nur ein einziges Kleidungsstück abzunehmen, bevor er tot ist, bekommt er es mit mir zu tun«, sagte er finster. Er ging nach draußen und sah sich nach Zolfo um, doch er konnte ihn nirgendwo entdecken. Dann begab er sich zu dem Karren, wo die Kinder mit dem Abladen beschäftigt waren.
    Die vier stärksten Jungen nahmen die Leichen – die zuvor von den Mädchen entkleidet worden waren, die für die Wiederverwendung von Kleidungsstücken zuständig waren, damit die Waisen diese entweder selbst benutzen oder weiterverkaufen konnten –, je zwei an den Armen und zwei an den Beinen, schaukelten sie hin und her, als wäre es ein Spiel, und sobald die Körper den nötigen Schwung hatten, warfen sie sie in die Tiefe. Mit einem dumpfen Geräusch landeten die Leichen im Massengrab.
    Mercurio trat näher. Unten in der Grube sah er Zolfo, der darauf

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