Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
entlangliefen. »Jetzt habe ich nur noch sie.« Dann öffnete sie eine Tür.
    »Warte hier«, sagte Isacco zu Giuditta und betrat ein Zimmer, dessen Decke so niedrig war, dass er sich bücken musste. Er nahm seinen gelben Judenhut ab, faltete ihn zusammen und steckte ihn in seinen Gürtel. In einer Ecke sah er auf einem niedrigen Hocker eine schwarz gekleidete Frau sitzen, die beinahe in der Dunkelheit verschwand. Sie hatte jenes maskenhafte Gesicht alter Leute aufgesetzt, die so taten, als sähen sie den Tod nicht, wenn er in ihre Nähe kam, damit er sie nicht bemerkte. Isacco nahm an, dass sie die Mutter der Wirtin oder des verstorbenen Ehemanns war. Und dann sah er noch einen Mönch in einer groben Kutte, die wohl einmal schwarz gewesen war und auf der Hüfte von einer Kordel zusammengehalten wurde. Er konnte dessen bloße, dreckige Füße sehen, weil der Mönch mit dem Rücken zu ihm neben dem Bett kniete, in dem das kranke Kind stöhnend lag und sich unruhig hin und her warf. Isacco beschlich ein ungutes Gefühl. Er hatte Priester noch nie leiden können. Ehe er näher ans Bett herantrat, drehte er sich noch einmal zur Tür, wo er Giuditta im Halbdunkel stehen sah. Mit Erstaunen stellte er fest, dass er ihr ihre vorlaute Bemerkung nicht länger übelnahm. Ganz im Gegenteil verspürte er mit einem Mal so etwas wie Dankbarkeit.
    Der Mönch hatte seine Stirn auf das Strohlager gelehnt und hob seinen Kopf auch dann nicht, als er den Neuankömmling hereinkommen hörte. Er murmelte weiter halblaut seine Gebete vor sich hin.
    Isacco legte dem Mädchen, das etwa zehn Jahre alt sein mochte, die Hand auf die Stirn. Sie glühte. Dann hob er die Decke. Das Kind hatte sich auf einer Seite zusammengerollt. Er fragte sich, was sein Vater wohl getan hätte, und versuchte, es auf den Rücken zu drehen und ihm die Beine auszustrecken. Sofort schrie das Mädchen laut auf vor Schmerzen und presste eine Hand auf den Unterleib.
    Der Mönch sah auf. Er war bestimmt noch keine dreißig, doch sein Gesicht wirkte wie das einer Mumie, so sehr spannte die Haut über dem Schädelknochen. Seine Wangen waren eingefallen und von solch tiefen Falten durchzogen, dass sie Narben ähnelten. Er sah aus wie ein Mensch, der seit vielen Wochen fastete. Seine kleinen, leuchtend blauen Augen waren von einem rötlichen Netz feiner Blutgefäße durchzogen, was ihr fanatisches Glühen jedoch nicht im Mindesten beeinträchtigte. Als sein Blick auf den gelben Hut an Isaccos Gürtel fiel, sprang der Priester jäh auf und streckte Isacco das Kreuz an seinem Hals entgegen. »Satan!«, rief er aus. »Was willst du hier?«
    Isacco hielt mit seiner Untersuchung inne.
    »Er ist Arzt, Bruder«, erklärte die Wirtin. »Er ist wegen meiner Tochter hier.«
    Der Mönch drehte sich zu der Frau um und musterte sie streng, als habe sie soeben den Namen des Herrn geschändet. »Er ist Jude«, sagte er grimmig.
    »Er ist Arzt«, wiederholte die Wirtin.
    Der Mönch erhob die Augen zum Himmel. »Vater, warum schickst du die boshafte Schlange zu dieser schwachen Eva?« Dann richtete er seinen eifernden Blick auf Isacco. »Schick sie zu mir, dass ich sie unter meiner Ferse zerquetsche.«
    »Was hat meine Tochter, Doktor?«, fragte die Wirtin Isacco in einem so drängenden Tonfall, als hätte sie begriffen, dass nicht mehr viel Zeit blieb.
    Isacco hatte gesehen, wie sein Vater diese Art von Entzündung behandelte, die oft Kinder befiel. »Man muss hier einen Schnitt machen, und dann …«, begann er und ließ dabei den Mönch nicht aus den Augen.
    »Schweig, Gottloser!«, schrie der Mönch und wandte sich wieder der Mutter des kranken Mädchens zu. »Hast du den Verstand verloren, Frau? Wie kannst du es zulassen, dass die dreckigen Hände dieses Juden deine Tochter anfassen, die im Namen Jesu Christi getauft ist? Nach der Berührung durch dieses Krebsgeschwür wird ihre Krankheit sich nur verschlimmern, unwissendes Weib. Begreifst du denn nicht, dass er ihre Seele rauben und sie dann an seinen Herrn und Meister Satan verkaufen wird, du törichte Frau? Wenn unser Herr im Himmel beschließt, dein Kind zu retten, dann wird er das meiner Gebete wegen tun. Wenn er hingegen beschließt, sie zu sich zu rufen, dann nur, um sie in den Chor der himmlischen Heerscharen einzureihen, du Undankbare. Doch wenn sie durch die Hand eines gottlosen Juden stirbt, wird sie zur Hölle fahren und dort gemeinsam mit Schweinen wie ihm im ewigen Feuer braten.« Der Mönch hielt kurz in seinem Wortschwall

Weitere Kostenlose Bücher