Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
nickte. Er fühlte sich vom Glück gesegnet. Er hatte alles, was er sich nur wünschen konnte.
»Saraval hat mir noch gesagt, ich solle dir ausrichten, dass es in zwei Wochen ein Fest im Hause Venier gibt und eine Woche darauf noch eins im Palazzo Labia. Du sollst die Ausstattung dafür herbeischaffen.«
»Dafür haben wir ja Tonio und Berto und das Boot von … also, das Boot.«
»Ich habe die beiden schon getroffen. Sie haben mir gesagt, dass du Battistas Witwe noch mehr Geld gegeben hast.«
»Bloß ein bisschen Kleingeld«, sagte Mercurio und wich ihrem Blick aus.
»Du brauchst das Geld doch für dich selbst«, sagte Anna.
»Sie braucht es auch. Sie hätte ihren Mann nicht verlieren dürfen.«
Anna schlug sich erschrocken eine Hand vor den Mund. »Ach Gott, du hast ja recht, was rede ich denn da«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich werde noch zu einem gefühllosen Ungeheuer, nur weil ich das Beste für dich will.«
Mercurio dachte, dass er eines Tages vielleicht lernen würde, ihr ganz offen zu sagen, wie gern er sie hatte. »Hat Saraval sonst nichts gesagt?«
Anna schüttelte den Kopf, beobachtete ihn aber gespannt. »Dann stimmt es also?«
»Was denn?«
»Ach komm schon … Wenn du so herumdruckst, bist du ein ganz schlechter Schauspieler.«
Mercurio grinste. »Was meinst du?«
Anna lächelte nachsichtig. »Na gut, belassen wir es dabei. Saraval hat übrigens gesagt, dass ich die Einkäufe für die Familien Venier und Labia besorgen soll.«
»Ach wirklich?«, gab sich Mercurio überrascht, doch dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten und lachte schallend.
Anna beugte sich über den Tisch und gab ihm einen Klaps auf den Lockenschopf.
»Du hast doch selbst gesagt, dass du Arbeit suchst«, verteidigte sich Mercurio. »Dann streng dich mal an.« Er steckte sich den letzten Bissen Brot in den Mund, trank die Schüssel Milch leer, wischte sich den Mund mit dem Jackenärmel ab und stand auf. Er schien über etwas nachzudenken, und auf einmal lächelte er und nahm sich die Münzen. »Ich brauche sie doch. Und jetzt muss ich gehen«, sagte er und ging zur Tür.
»Wo willst du denn hin? Du bist doch gerade erst gekommen …«
»Ich muss mich um mein Schiff kümmern!«, rief Mercurio von der Türschwelle aus.
»Was für ein Schiff?«
Die Tür fiel ins Schloss.
Anna stand auf und öffnete sie schnell. »Was für ein Schiff?«, schrie sie ihm hinterher.
Doch Mercurio war schon zu weit entfernt, um sie zu hören. Er lief zur Anlegestelle der Fischer.
Als er das Boot erreichte, das vorher Battista gehört hatte, stieß er einen Pfiff aus, und Tonio und Berto waren sogleich zur Stelle.
»Wohin soll’s gehen, Meister?«, fragte Tonio gut gelaunt. Sie hatten vierzehn Silberstücke damit verdient, die Waren aus Saravals Pfandleihe zum Haus des verarmten Adligen und dann wieder zurück zu schaffen.
»Bringt mich zum Rio di Santa Giustina«, sagte Mercurio. »Die Stelle, wo er auf den Rio di Fontego trifft.«
»Was willst du denn dort?«, fragte Tonio erstaunt. »Da treiben sich doch bloß Hungerleider rum.«
»Kümmer dich um deinen eigenen Kram und rudere«, erwiderte Mercurio fröhlich. Er wollte sich von ihnen nicht zu Zuan dell’Olmos Bootswerft bringen lassen. Ihm gefiel die Vorstellung, allein dorthin zu gehen, als wäre es sein geheimer Rückzugsort.
Während die beiden kräftigen buonavoglia so schnell wie gewohnt ruderten, sog Mercurio die kühle Morgenluft tief in sich ein. Das Leben könnte nicht schöner sein, dachte er bei sich. Von einem Moment zum anderen hatte sich alles verändert. Vor allem war er nun ehrbar geworden. Und das, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Eine gute Idee hatte ihm genügt. Er hatte eine Beschäftigung gefunden, durch die er zu Wohlstand gelangen konnte, ohne dafür den Kerker oder Schlimmeres zu riskieren. Er hatte Anna gefunden, die Mutter, die er schon sein ganzes Leben lang gesucht hatte. Und er war Giuditta begegnet, der Frau, die von nun an sein Leben wie ein Sonnenstrahl erhellen würde. Nein, es konnte nichts Schöneres geben. Verstohlen lächelte er in sich hinein.
Als sie in das dichte Labyrinth der kleinen Kanäle in der Lagune eindrangen, betrachtete er neugierig die Umgebung, und es kam ihm vor, als wäre, wenn er sich umdrehte, stets dasselbe schlanke schwarze Boot hinter ihnen. Aber das war nur ein flüchtiger Gedanke, der ihn nicht weiter beschäftigte. Er sah lieber zum klaren blauen Himmel empor, an dem nur ein paar harmlose Wolken
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