Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
eingenommen.«
»Serravalle …«, keuchte Lanzafame.
»Was ist, Hauptmann?«
»Meine Hände haben nicht gezittert, weißt du?«
»Die haben noch nie gezittert, Hauptmann.«
Am Abend kehrte Isacco ins Ghetto Nuovo zurück. Lanzafame, der ihn mit seinen Männern begleitete, trug dicke Verbände. Die hellen Tücher verfärbten sich bereits blutig, doch der Hauptmann hatte den Blick eines stolzen Mannes. Und er lief aufrecht, weil ihm dies bewusst war. Am Tor verabschiedete er sich von Isacco und hinkte auf Serravalle gestützt ins Wachhaus.
Mit hängenden Schultern betrat Isacco den Platz des Ghetto Nuovo. Er war so erschöpft, dass er kaum wahrnahm, wie das Tor hinter ihm geschlossen wurde. Er nahm den Hut ab und trat unter die Bogengänge.
»So weit ist es mit uns gekommen«, sprach Anselmo del Banco ihn an, der gerade seine Pfandleihe abschloss. »So weit ist es mit dem Erwählten Volk gekommen. Gelber Hut und Viehpferch, ein schöner Schlamassel. Hast du schon von diesem Heiligen gehört? Er hetzt die Leute immer mehr gegen uns auf. Jetzt läuft er überall herum und erzählt, wir Juden hätten das Christenkind, das auf Torcello verschwunden ist, für unsere finsteren Rituale geraubt. Er sagt, dass wir Satan das Blut von Kindern opfern. Ich bin sehr in Sorge.«
Isacco zuckte mit den Schultern. »Ich rede jeden Tag mit dem einfachen Volk, Anselmo. Die Venezianer haben nichts gegen die Juden und glauben solchen Unsinn nicht.«
»Ja, das ist auch mein Eindruck«, sagte Anselmo. »Aber als Oberhaupt der Gemeinde muss ich stets wachsam sein, meinst du nicht auch?«
Isacco nickte zerstreut.
»Ich muss über alles wachen«, fuhr Anselmo hartnäckig fort, »und möglichen Übergriffen vorbeugen …«
Isacco horchte auf. »Anselmo, warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du mir etwas Bestimmtes sagen möchtest?«
»Weil du ein kluger Mann bist, Isacco«, lächelte Anselmo del Banco. »Und vielleicht, weil du tief in deinem Innern weißt, dass wir früher oder später darüber reden müssen.«
»Ich bin müde, Anselmo. Es war ein schrecklicher Tag, glaub mir«, sagte Isacco. »Mach es kurz und komm zur Sache.«
»Wenn du möchtest, dass ich es dir offen sage …«
»Ja, bitte.«
»Dann werde ich also offen sein«, fuhr Anselmo immer noch lächelnd fort. »Ich gehe davon aus, dass du weißt, wie man dich in der Gemeinde hier und in ganz Venedig nennt?«
»Ist das deine Art, dich kurz zu fassen?«
»Den Hurendoktor«, sagte Anselmo, und nun war alle Freundlichkeit aus seinem Blick geschwunden.
»Wie originell.«
»Das ist keineswegs komisch, Isacco«, sagte Anselmo immer noch bitterernst. »Die Gemeinde ist nicht gerade glücklich über deine Tätigkeit. Oder besser gesagt, über deine Kundschaft. Sie bringt uns alle in Verruf.«
»Verruf?« Isacco schüttelte mit einem sarkastischen Lächeln den Kopf. »Ich versuche doch nur, etwas gegen diese Seuche zu unternehmen …«
»Das sind Huren, Isacco.«
»Das sind Menschen.«
Anselmo del Banco sah ihn schweigend und ernst an. »Kümmern dich die Sorgen der Gemeinde nicht, der du angehörst?«
»Wenn sie so aussehen, dann nicht.«
»Prostituierte sind verdorbene Menschen. Verachtenswert. Sie bringen auch uns in Verruf.«
»Gut. Du hast gesagt, was du zu sagen hattest.«
»Nein«, sagte Anselmo. Er sprach jetzt ganz leise, flüsterte fast. »Ich habe damals so getan, als hätte ich dir diese Geschichte geglaubt, dass du auf dem Landweg nach Venedig gekommen bist. Sollte sich jetzt jedoch herausstellen, dass du nicht der bist, der zu sein du vorgibst, sondern ein gewisser Betrüger, über den eine makedonische Schiffsmannschaft geschimpft hat, was würdest du der Gemeinde dann erzählen?«
»Ich würde sie daran erinnern, dass in den Augen des Herrn mehr als der zaddik, der Rechtschaffene, jener Mann gilt, der gefallen und dann wieder aufgestanden ist.«
»Und glaubst du, mit dieser hübschen Geschichte kommst du auch bei den venezianischen Behörden durch … Doktor?«
Isacco starrte ihn an. Er konnte sich gut vorstellen, dass Anselmo del Banco diesen Blick auch immer aufsetzte, wenn er zu dem entscheidenden Punkt eines Geschäfts kam. »Willst du mich erpressen?«
Anselmo starrte ihn weiter schweigend an.
Isacco spürte die ganze Last dieser Drohung. Für einen kurzen Moment erinnerte er sich wieder der üblen Orte, an denen er als junger Mann verkehrt hatte, wo es vor Dieben, Betrügern und Prostituierten nur so wimmelte. Und er dachte, dass
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