Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
es wohl einen Grund geben musste, warum Gott ihm diesen Weg gewiesen und sein Vater sich in den Kopf gesetzt hatte, ihm als Einzigem unter seinen Kindern die Grundlagen der Medizin zu vermitteln. Offensichtlich bestand sein Schicksal darin, die beiden Welten, die er so gut kannte, miteinander zu versöhnen.
»Triff deine Wahl«, befahl ihm Anselmo del Banco barsch.
Isacco erinnerte sich an die Hafenhuren, die ihn in ihre Betten genommen und ihm oftmals einen Kanten Brot zugesteckt hatten, damit er nicht verhungerte. »Ich bin stolz darauf, der Hurendoktor zu sein.«
62
A ls Benedetta den Ballsaal im Hause Contarini betrat, wusste sie, dass die Augen aller anwesenden adligen Damen und Kurtisanen auf sie gerichtet waren. Sie konnte ihre feindseligen und hochmütigen Blicke beinahe körperlich spüren.
Während sie am Arm des Fürsten Contarini voranschritt und dabei versuchte, sich möglichst aufrecht zu halten und nicht durch den schwankenden, humpelnden Gang ihres missgebildeten Begleiters aus dem Tritt zu geraten, wusste sie, dass jede dieser Frauen heimlich über sie lachte und sie dafür verachtete, die Geliebte eines Mannes zu sein, der nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verkrüppelt war.
Sie ließ sich anstarren, vermied es jedoch, den Blicken zu begegnen. Ihr Schmuck war genauso kostbar wie der der anderen, ihre Frisur nicht weniger modisch, und sie war mit ebensolcher Sorgfalt geschminkt wie die übrigen Damen. Kurzum: Sie sah aus wie all die anderen Frauen im Saal.
Doch etwas hob sie von den anderen ab.
Sie war weit schöner als die meisten von ihnen. Das erkannte sie an den Blicken der Männer.
Und sie trug ein Kleid, wie es keine von ihnen besaß. Ein Kleid, das die versammelten Damen allesamt neugierig beäugten. Und das sie, so hoffte Benedetta zumindest, mit Neid erfüllen würde.
Und vielleicht würden sie eben wegen dieses Kleides das Wort an sie richten.
Das Gewand war von verblüffender Neuartigkeit. Von den beiden Puffärmeln, die am Unterarm weiter wurden, gingen zwei enger anliegende Innenärmel ab, aus einer so zarten und transparenten Seide, dass die Haut unter dem Stoff durchschimmerte. Der Miederteil war nicht so steif wie bei den Gewändern der anderen Frauen, sondern weicher und derart geformt, dass er nicht glatt abfiel, sondern sich unmittelbar unter dem Busen kräuselte und ihn so besonders stützte und betonte. Als Benedetta diesen einfachen, aber neuartigen Schnitt gesehen hatte, war ihr augenblicklich durch den Kopf gegangen, dass sicherlich jeder Mann sogleich den Wunsch verspüren würde, diese ihm so offen dargebotenen Rundungen zu streicheln. Zwei hinten und zwei seitlich auf Höhe der Hüften angebrachte steife Stäbchen formten die Taille, pressten sie leicht zusammen und ließen sie dadurch anmutiger und schlanker erscheinen. Und der Rock war nicht die übliche schwere Glocke, die den unteren Teil des Körpers vollkommen verbarg, sondern er bestand aus mehreren übereinandergelegten dünnen Schichten, die zwar immer noch die der geltenden Mode entsprechende Form annahmen, sich aber deutlich an die Beine anschmiegten, sodass man diese bei jeder Bewegung unter dem feinen Stoff erahnte.
Als Fürst Contarini, vollständig in Weiß und Gold gekleidet, die Mitte des riesigen Ballsaales erreicht hatte, der im Licht einer Unzahl bunter Kerzen und Spiegellampen erstrahlte, blieb er stehen und verbeugte sich mit seiner verqueren Anmut vor den Gästen, die ihm applaudierten. Er wandte sich den Musikern zu und forderte sie zum Beginn auf. Dann deutete er einen Tanzschritt an, führte Benedetta zu einem etwas abseits stehenden freien Sessel und ließ sie dort Platz nehmen. Er selbst ging zu einem anderen Sessel auf einer mit blauer Seide bezogenen Plattform, die den Saal beherrschte, und setzte sich dorthin. Allein.
Benedetta konnte die erleichterten Seufzer der anwesenden vornehmen Damen hören, die zu schätzen wussten, dass der Fürst ihnen zwar seine Geliebte aufdrängte, sie jedoch nicht auf eine Stufe mit ihnen stellte.
In der Mitte des Ballsaals bildete ein Teil der Gäste einen Kreis und begann zu tanzen. Die anderen stellten sich zu beiden Seiten davon auf, um ihnen zuzusehen und Beifall zu spenden. Viele gingen an Benedetta vorbei, ohne ein Wort an sie zu richten oder sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
Benedetta blieb ganz aufrecht in ihrem Sessel sitzen und starrte geradeaus. Verwundert stellte sie fest, dass die Adligen unter all den kostbaren
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