Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Düften, mit denen sie sich einnebelten, ganz übel stanken. Nach Schweiß oder faulig nach schlechtem Atem oder kaputten Zähnen und nach ungewaschenen Haaren. Daraufhin fasste sie den Mut, sich die Gäste einen nach dem anderen genauer anzusehen. Und sie musste lächeln bei dem Gedanken, dass der einzige Unterschied zwischen dem Ballsaal und einem Ziegenstall darin bestand, dass sich hier die Ziegen mit Parfüm übergossen. Diese Feststellung nahm ihr die Angst, und sie fühlte sich nicht mehr unterlegen oder gar eingeschüchtert. Sie sah zum Fürsten hinüber und warf ihm theatralisch einen Kuss zu. Dann ordnete sie die Falten ihres Kleides und wartete ab.
Rechts von ihr hatte sich ein kleines Grüppchen um eine Frau geschart, die aus der Menge hervorstach: Sie trug ihr Haar blau gefärbt, und ihr Kleid war über dem winzigen Busen so weit ausgeschnitten, dass man die kleinen Brustwarzen wie zwei dunkle Perlen hervorlugen sah. Die Frau war nur von Männern umringt, was sie allerdings nicht zu überraschen schien. Sie saß da und las aus einem schmalen Band Gedichte vor, die angeblich aus ihrer eigenen Feder stammten. Als sie geendet hatte, klatschten die sie umschwärmenden Männer leise Beifall, denn der Applaus wurde durch ihre Handschuhe gedämpft. Die Frau steckte das Buch in die Tasche, die an ihrem linken Handgelenk baumelte, und wandte sich Benedetta zu. Vollkommen unbekümmert musterte sie ihr Kleid von oben bis unten.
Als die Frau sich erhob und auf sie zuging, bemerkte Benedetta, dass sie deutlich größer war als die Männer in ihrer Umgebung. Ein Blick von ihr genügte und der junge Adlige, der auf dem Stuhl neben Benedetta gesessen hatte, sprang hastig auf und überließ der Frau seinen Platz. Sie setzte sich, ohne ihm zu danken. Benedetta sah, dass sie Schuhe mit unglaublich hohen Absätzen trug, fast schon Kothurnen, und in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie keine Aristokratin, sondern eine Kurtisane war. Denn diese Schuhe dienten dazu, dass man durch die schlammigen Straßen Venedigs laufen konnte, ohne sich die Kleidersäume zu beschmutzen.
Die Kurtisane wandte sich lächelnd an Benedetta.
»Die anderen werden auch noch kommen, meine Liebe«, sagte sie mit samtig weicher Stimme.
Benedetta antwortete darauf nur mit einem Lächeln.
»Sie sind genauso begierig wie ich, alles über dieses Kleid zu erfahren«, fuhr die Kurtisane fort.
»Es ist doch nur ein Kleid«, sagte Benedetta.
Die Kurtisane lachte. »Das macht Ihr gut, meine Liebe.«
»Was denn?«
»So zu tun, als ob nichts wäre«, lachte die Kurtisane wieder.
Benedetta sagte nichts dazu, doch sie wusste genau, was die andere damit meinte.
Die Kurtisane beugte sich zu ihr hinüber. »Spart Euch dieses Getue für die anderen Hühner auf«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Ich bin eine Hure wie Ihr.«
Benedetta lächelte. »Was wollt Ihr wissen?«
»Ist das eines der Kleider von dieser Jüdin, über die inzwischen ganz Venedig spricht?«
»Genau.«
»Das habe ich mir gedacht.« Die Kurtisane streckte einen Arm aus. »Ihr gestattet?« Sie befühlte den Stoff. »Seide bester Qualität.«
»Ja.«
»Fühlt sie sich auch zwischen den Beinen so weich an?«
Benedetta stimmte in ihr Lachen ein.
»Aber bestimmt nicht so weich wie mancher Männerschwengel«, sagte die Kurtisane und nahm mit verschwörerischer Miene Benedettas Hand.
Nach und nach zogen die Frauen wie in einer Prozession an ihr vorbei, und Benedetta hatte den Eindruck, dass sie dabei einer streng hierarchischen Ordnung folgten. Zuerst war die Kurtisane zu ihr gekommen, dann die Gesellschaftsdamen, später die Ehefrauen der Kaufleute und die jüngeren Adligen, bis sich ihr zuletzt eine ältere Frau mit einem harten, undurchdringlichen Gesicht und schmaler Nase näherte, deren lange knotige Hände über und über mit kostbaren Ringen und Armbändern geschmückt waren.
Die Kurtisane beobachtete das Ganze aus geringer Entfernung und gab Benedetta durch ihre weit aufgerissenen Augen zu verstehen, wie sehr sie sich wunderte, dass selbst diese Adlige zu ihr kam.
Als die ältere Dame nur noch zwei Schritte von dem Platz entfernt war, an dem Benedetta saß, erhob diese sich und verneigte sich vor ihr.
Der Adligen schien das zu gefallen. Doch sofort erschien wieder dieser harte, unsympathische Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Wie kann man bei einer Jüdin ein Kleid kaufen?«, fragte sie.
Benedetta zögerte mit ihrer Antwort, denn sie spürte, dass ihre Stimme beben würde,
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