Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
geschenkt. Glaubt Ihr, ich würde so herumlaufen, wenn ich nicht stolz auf meine Tochter wäre?«
Lanzafame lachte laut. »Langsam«, sagte er dann und packte Isacco am Arm. »Ich habe heute noch nichts getrunken und bin etwas schwach auf den Beinen.«
Isacco schüttelte den Kopf. »Ihr seid schwach auf den Beinen, weil Ihr trinkt, nicht weil Ihr nichts trinkt. Der Wein hat Euren Kopf so durcheinandergewirbelt, dass Ihr die Dinge falsch herum seht.«
»Ich bin jetzt nicht in Stimmung für Standpauken, Doktor«, erwiderte Lanzafame leicht säuerlich.
Schweigend gingen sie weiter, bis Isacco sagte: »Verzeiht mir. Ich wollte Euch keine Standpauke halten.«
»Sicher wolltest du das«, entgegnete Lanzafame. »Ich weiß ja, dass du es nur gut mit mir meinst. Und du hast ja auch recht …«
»Aber …?«
Lanzafame erwiderte nichts.
Schweigend überquerte Isacco die Brücke über den Kanal. Er wusste, dass er jetzt besser den Mund hielt. Manchmal half Schweigen mehr als viele Worte.
»Wenn ich nicht trinke, zittern meine Hände«, fuhr der Hauptmann nach einer Weile fort.
»Und wenn Ihr trinkt, hört das Zittern auf?«, fragte Isacco zerstreut.
»Ich ertrage das nicht mehr«, sagte Lanzafame leise und gedemütigt. »Schau.« Er streckte die Hand aus. »Sie zittern wie bei einem ängstlichen Mädchen.« Sie kamen gerade an einer Schenke vorbei, und er wurde langsamer.
»Aber je mehr Ihr trinkt, desto schlimmer wird das Zittern hinterher, oder?«, sagte Isacco.
Lanzafame sah wieder zur Schenke hinüber. »Ja. Mit jedem Tag wird es schlimmer.«
»Dann könnte es logischerweise auch jeden Tag besser werden«, sagte Isacco lächelnd. »Und im Dienste der Wissenschaft könntet Ihr es ja einmal ausprobieren.«
»Was denn?«
»Einen ganzen Tag nichts zu trinken.«
»Einen ganzen Tag?«
»Ja. Heute zum Beispiel.«
»Du versuchst doch, mich übers Ohr zu hauen, oder?«
»Ich versuche es«, gab Isacco zu. »Aber Ihr seid ein harter Knochen.«
»Ich könnte ja noch schnell ein, zwei Gläser trinken, nur damit es mir besser geht, und dann höre ich auf. Es ist ja immer das letzte Glas, das mich umhaut.«
»Das glaube ich nicht, Hauptmann. Mir kommt es eher so vor, als wäre es das erste.«
»Was redest du denn da für einen Blödsinn? Das erste ist nie ein Problem.«
»Aber nach dem ersten hört Ihr nicht auf. Der Wein schießt Eure Kehle so schnell hinab wie Steine einen Abhang. Ihr habt die Bestie in Euch nicht mehr unter Kontrolle.«
Lanzafame lief grübelnd weiter. »Nur heute, sagst du?«
»Nur heute.«
»Und was ist mit morgen?«
»Werden wir morgen denn überhaupt noch am Leben sein?«, fragte Isacco.
»Na gut. Heute.«
»Heute«, sagte Isacco und bog auf den Platz vor dem Castelletto ein. Er roch schon den ihm mittlerweile vertrauten Geruch nach Hurerei und menschlichem Elend.
»Doktor! Doktor!«, rief eine der erkrankten Prostituierten und lief ihnen mit schreckgeweiteten Augen entgegen. »Kommt! Schnell!«
Isacco rannte hinter der Hure her, Lanzafame wich ihm nicht von der Seite. Etwas weiter vorne, nahe einer Ansammlung Frauen, sahen sie mit gezückten Waffen Serravalle und die anderen fünf Wachleute stehen, die bereits vor ihnen eingetroffen waren.
»Was geht hier vor?«, fragte Isacco und bahnte sich seinen Weg zwischen den Prostituierten hindurch. »Repubblica! Du solltest doch im Bett liegen«, rief er, als er sie auch dort herumlaufen sah. Er wandte sich an Lidia, ihre Tochter, in deren Augen die blanke Angst stand. »Warum hast du zugelassen, dass deine Mutter aufsteht …?«
Das Mädchen brach in Tränen aus.
Isacco schaute umher und erkannte um ihn herum sämtliche Huren, die er behandelte. »Was macht Ihr denn hier? Geht wieder ins Bett!«
»Serravalle!«, rief Lanzafame. »Was zum Henker ist passiert?«
Isacco bahnte sich weiter seinen Weg durch die Gruppe der Prostituierten hindurch, die sich gegenseitig stützten und vor Kälte und Angst zitterten.
»Sie sind in der Nacht gekommen«, sagte Serravalle.
»Wer?«, fragte Lanzafame.
Die Prostituierten scharten sich um jemanden, den Isacco noch nicht sehen konnte.
»Scarabellos Männer«, erklärte Serravalle.
»Aus dem Weg, lasst mich vorbei«, sagte Isacco zu den letzten Huren, die ihm die Sicht versperrten. Ihre Gesichter waren mit Tränen überströmt. Und dann sah er sie.
»Sie wussten, dass wir nur tagsüber eine Wache für den Doktor schicken würden«, fuhr Serravalle fort. »Deshalb sind sie gestern Nacht gekommen,
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