Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
die Augen.
»Euer Gnaden«, sagte Benedetta, »Ich möchte nicht wieder getadelt werden, weil ich erneut mit einer Gegenfrage antworte, doch verzeiht mir, ich muss es einfach wissen: Inwiefern ist es für Euch von Bedeutung, was ich denke?«
»Ich dachte, Ihr wärt eines der üblichen Fötzchen des Fürsten«, sagte die Adlige, »doch stattdessen seid Ihr ein Mädchen, das weiß, was es will. Und Ihr habt Verstand.«
Benedetta verneigte sich tief.
»Ja, dieses Kleid fällt wirklich wunderbar«, sagte die Aristokratin. »Auch in Bewegung.«
Benedetta lächelte sie an.
»Könntet Ihr einen Eurer … einen der Diener des Fürsten, meine ich, in den Laden dieser Jüdin schicken?«, fragte die Dame. »Ich ziehe es vor, dass selbst meine Diener nicht mit diesen Leuten in Berührung kommen.«
»Selbstverständlich, Euer Gnaden«, erwiderte Benedetta.
»Macht einen Termin für nächsten Montag im Palazzo Vendramin aus.«
»Wie Ihr befehlt.«
»Ihr erweist mir einen Gefallen.«
»Und mir ist es ein Vergnügen.«
Die Aristokratin wandte sich schon zum Gehen, als sie plötzlich innehielt. »Ihr versteht doch, dass ich Euch nicht dazubitten kann, nicht wahr?«
Benedetta fühlte Wut in sich aufsteigen, doch sie ließ sich nichts anmerken. »Natürlich, Euer Gnaden.«
Die Aristokratin betrachtete noch einmal das Kleid. »Exquisit.«
»Ja, das ist es wirklich«, sagte Benedetta. »Diese Jüdin hat mich verhext mit ihren Kleidern.«
»Verhext? Ihr benutzt aber merkwürdige Worte«, sagte die Adlige lachend.
»Meint Ihr? Aber genauso ist es. Ich besitze nun drei davon und mag kein anderes Kleid mehr anziehen.« Dann schlug sie wie zufällig, als hätte sie es nicht längst geplant, einen Saum des Miederteils um und zeigte der Edeldame einen kleinen roten Fleck. »Seht her. Das ist ihr Markenzeichen. Blut von Verliebten.« Sie lachte auf. »Aber selbstverständlich glaube ich nicht an so etwas …«
Die Aristokratin schwieg. Aber fast unmerklich glitten ihre Augen zu einem Mann ihres Alters, der gerade einer jungen Dienerin nachstellte. Und da verstand Benedetta, warum ihr Blick so hart und kalt geworden war. Sie war eine betrogene, gedemütigte und einsame Frau. Eine Frau, die ein Kleid mit dem Blut von Verliebten brauchte, um sich daran zu wärmen und um zu hoffen.
»Es wird Euch ausgezeichnet stehen«, flüsterte Benedetta ihr zu.
Für einen Augenblick ließ die Adlige die undurchdringliche Maske fallen und sah Benedetta an. Sie wirkte nun gar nicht mehr so alt. Sie mochte eine glorreiche Vergangenheit und Schmuck im Wert eines riesigen Vermögens mit sich herumtragen, aber dennoch fühlte sie wie jede normale Frau. Sie war hochmütig wie jemand, der sich etwas Besseres dünkte, aber sie war nicht stärker als ein Mädchen, das inmitten von Armengräbern aufgewachsen war. Doch kurz darauf hatte sie sich wieder in die Frau von Welt verwandelt, die über jegliches menschliche Unglück erhaben war.
Als das Fest in vollem Gang war, ging der Fürst zu Benedetta und forderte sie zum Tanz auf. Sie erhob sich und begleitete ihn in die Mitte des Saales. Alle verstummten und starrten sie an.
Da presste Benedetta auf einmal eine Hand an den Ausschnitt, riss den Mund auf und wurde hochrot im Gesicht. Kurz darauf sank sie ohnmächtig zu Boden. Ein Arzt eilte ihr zur Hilfe, doch ehe sie wieder zu sich kam, zitterte sie am ganzen Körper und stammelte wirres Zeug.
»Meine Seele … Sie raubt mir … meine Seele … Ich ersticke … Zieht mir das Kleid aus … ich ersticke … Das Kleid … Das Kleid.«
Sie wurde in ein Schlafgemach gebracht, wo zwei Dienerinnen sie umsorgten und entkleideten.
Als der Arzt den Raum betrat, um nochmals nach ihr zu sehen, hatte Benedetta sich erholt.
»Ich habe das Kleid ausgezogen, und jetzt geht es mir wieder gut, Doktor«, erklärte sie ihm.
»Vielleicht war es ja ein wenig zu eng«, sagte der Arzt.
»Vielleicht …«, erwiderte Benedetta. »Etwas ist allerdings merkwürdig … Es war, als ob …«
»Als ob?«, fragte der Arzt.
»Als ob das Kleid mir … Ach nein, das ist dumm. Da habe ich mir bestimmt etwas eingebildet.« Sie lachte. »Stellt Euch nur vor: als ob ein Kleid mir meine Seele rauben könnte.«
Der Arzt stimmte in ihr Gelächter ein.
Aber die beiden Dienerinnen, die das Kleid noch in der Hand gehalten hatten, legten es sofort hastig über einen Stuhl und verließen dann erschrocken den Raum.
Am folgenden Montag ging Benedetta zufälligerweise gerade in dem Moment am
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