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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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und dümpelte noch Tage darin vor sich hin. Ein Schwarm Möwen schwirrte durch die Luft und kreiste um den Abfall. Die Wände der eng um den Rio stehenden Häuser verstärkten ihr Kreischen, das sich wie höhnisches Gelächter anhörte.
    »Hexerei …«, ging ein erschrockenes Raunen durch die Menge auf dem Platz.

63
    G iuditta sah aus dem Fenster, das auf den Platz ging, in Richtung des Tors zum Rio di San Girolamo. Isacco schlief bereits tief und fest in seinem Zimmer. Sie hörte ihn sogar durch die geschlossene Tür schnarchen. Doch Giuditta fand keinen Schlaf. Sie hielt unter den Leuten, die zu so später Stunde ins Ghetto zurückkehrten, Ausschau nach Mercurio in der Hoffnung, dass er sie diesen Abend noch besuchen würde.
    Doch nun war schon länger niemand mehr durch das Tor gekommen. Die beiden Wachen schlenderten gelangweilt davor auf und ab und warteten nur noch auf das letzte Läuten der Marangona-Glocke, um es endlich zu schließen.
    Giuditta sah Hauptmann Lanzafame aus dem Wachhaus treten. Sie wusste, dass er verwundet worden war, er trug immer noch die Verbände. Ihr Vater behandelte ihn jeden Tag, doch er hatte ihr nichts über den Vorfall erzählt. Giuditta war allerdings aufgefallen, dass Lanzafame seitdem nicht ein Mal betrunken gewesen war. Und das galt auch für diesen Abend.
    In dem Moment läutete die Marangona-Glocke zum letzten Mal am Tag. Die beiden Wachen streckten sich.
    »Schließen!«, befahl Lanzafame.
    »Geschlossen!«, hörte man von dem Tor auf der anderen Seite der Brücke.
    Die beiden Wachen schlossen langsam die Torflügel.
    Giuditta sah auf die Fondamenta degli Ormesini und hoffte, dass Mercurio doch noch dort auftauchen würde, in seiner Verkleidung als sich verspätender Jude. Doch selbst die Ufer des Kanals waren verwaist. In der vorangegangenen halben Stunde hatte Giuditta sich alle Leute genau angesehen, die das Ghetto betreten hatten: den Uhrmacher Leibowitz, zwei alte Wäscherinnen, einen kräftigen Mann mit blutbefleckten Kleidern, wohl ein koscherer Metzger, und ein dickes, großes Mädchen, das auf dem Kopf einen Strohballen in einem an allen vier Ecken zusammengeknüpften Tuch trug. Schließlich war ein dünner Junge aufgetaucht, der nur noch ein Bein hatte, er war schmutzig und schleppte sich mühsam auf zwei Krücken vorwärts. Bei seinem Anblick hatte Giudittas Herzschlag sich kurz beschleunigt. Das hätte gut Mercurio sein können. Aber dann war der Junge verschwunden, anstatt leise an die Haustür zu kratzen, wie sie es als Zeichen vereinbart hatten.
    Die beiden Torflügel bei der Brücke über den Rio San Girolamo schlugen mit einem dumpfen Klang gegeneinander und rasteten ein. Die Riegel ächzten kreischend in den Eisenführungen, als sie vorgeschoben wurden.
    »Geschlossen!«, schrien die Wachen.
    Lanzafame kehrte in das Wachhaus zurück.
    Giuditta blieb noch am Fenster stehen und lehnte ihren Kopf gegen die kühle Glasscheibe. Heute Abend würde Mercurio wohl nicht zu ihr kommen.
    Betrübt richtete sie ihr Bett für die Nacht. Doch plötzlich horchte sie auf, weil sie Schritte auf der Treppe vernahm.
    Lächelnd eilte sie zur Tür, und mit klopfendem Herzen öffnete sie noch vor dem vereinbarten Zeichen.
    Doch statt Mercurio stand da ein Mädchen vor ihr. Giuditta erkannte in ihr die junge Frau, die mit einem Strohballen auf dem Kopf durchs Tor gekommen war, denn in ihren langen blonden Haaren hatten sich ein paar Halme verfangen.
    »Oh … Du hast dich wohl in der Tür geirrt«, sagte Giuditta enttäuscht und wollte schon die Tür schließen.
    Das Mädchen sah sie ernst an und sagte dann: »Warte doch. Darf ich dich vorher küssen?«
    Instinktiv wich Giuditta zurück, doch dann lachte sie hell auf: »Du Dummkopf!«
    Mercurio legte einen Finger auf den Mund, doch seine Augen blitzten fröhlich. »Leise … oder willst du etwa alle aufwecken?«
    Giuditta warf sich in seine Arme. »Wie hübsch du bist«, flüsterte sie ihm lachend ins Ohr.
    »Komm mit«, sagte Mercurio und nahm sie bei der Hand.
    »Einen Moment«, gebot Giuditta ihm Einhalt, ging zurück in die Wohnung, holte ihre Bettdecke und lehnte die Tür an.
    Dann stiegen sie gemeinsam die Treppe hinauf bis zum Dach des Gebäudes, wobei ihre Hände schon ungeduldig den Körper des anderen erkundeten. Sie betraten die Dachterrasse und schlüpften sodann unter einen Verschlag, der halb aus Brettern bestand und halb gemauert war. Dort roch es penetrant nach Vogelkot.
    »Guten Abend, ihr Kleinen«, sagte

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