Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
gemacht?«
»Nichts.«
Schweigend erreichten sie ihre Wohnung. Als sie die Tür öffneten, bemerkte Isacco den Brief, den Giuditta für den Tag geschrieben hatte, an dem sie mit Mercurio fliehen wollte, wohin auch immer er sie führen würde.
»Was ist das?«, fragte er und wies auf das Blatt.
Giuditta nahm es hastig an sich. »Nur ein Stück Papier.«
»Und was steht drauf?«
»Ach, lauter Unsinn«, erklärte Giuditta und warf den Brief in die Kaminglut.
»Was ist mit dir?«, fragte Isacco und betrachtete sie aufmerksam.
Giuditta sah zu, wie die Flammen den Brief verzehrten.
»War das … für diesen Mercurio?«
Wütend fuhr Giuditta herum. Zorn und Schmerz verzerrten ihre Züge. »Ich will nie wieder von ihm hören! Merk dir das! Nie wieder!«, schrie sie.
DRITTER TEIL
Venedig – Mestre
69
E s ist aus, ich will dich nicht mehr sehen. Komm nicht mehr zu mir«, sagte Giuditta.
Mercurio starrte sie mit einem törichten Lächeln an. Obwohl er wusste, dass Giuditta keineswegs scherzte, sondern es bitterernst meinte, kam ihm das Ganze vollkommen unwirklich vor. Die nervöse Anspannung verzerrte seine Lippen zu einem krampfhaften Grinsen und zog ihm das Zwerchfell zusammen, sodass er einen glucksenden Laut ausstieß, als würde er lachen. Doch er versuchte nur, seine Tränen zu unterdrücken.
Inzwischen war es dunkel geworden. Die wenigen Menschen, die noch unterwegs waren, strebten eilig in beide Richtungen über die Cannaregio-Brücke ihren jeweiligen Wohnungen entgegen und achteten nicht weiter auf sie.
Am Morgen hatte Isacco ihm ernst, ja beinahe verlegen einen Brief übergeben, in dem stand, er solle sich abends, kurz bevor die Marangona-Glocke zum Schließen der Tore läutete, bei der hölzernen Brücke über den Cannaregio-Kanal einfinden. Mercurio hatte sich gewundert, dass ausgerechnet Isacco ihm diese Botschaft überbracht hatte, wo er sich doch ihrer Liebe so hartnäckig in den Weg stellte. Den ganzen Tag hatte er darüber nachgegrübelt, aber auf das, was hier gerade geschah, wäre er nie im Leben gekommen.
Er sah wieder zu Giuditta hinüber. In dieser weder vom Mond noch von den Sternen erhellten Dunkelheit konnte er ihre Gesichtszüge kaum erkennen. Mercurio schüttelte den Kopf: »Nein …«, stammelte er.
»Es tut mir leid, aber ich will dich nicht mehr sehen«, wiederholte Giuditta. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen, und ihre Augen blickten ihn ausdruckslos an.
»Aber warum …?«, brachte Mercurio endlich heraus.
»Weil ich festgestellt habe, dass ich dich nicht liebe«, sagte Giuditta tonlos.
Mercurio merkte, wie etwas in ihm erstarb. Brüsk wandte er sich ab, sein Atem ging so heftig, als wäre er gerannt. »Das glaube ich nicht«, flüsterte er.
»Ich will dich nicht mehr sehen«, wiederholte Giuditta leise hinter ihm.
Mercurio meinte, ein leichtes Zittern in ihrer Stimme wahrgenommen zu haben. Sofort drehte er sich um.
Giuditta ballte die Fäuste. Sie spürte, wie ihre Fingernägel sich schmerzhaft in ihre Handflächen krallten. »Ich liebe dich nicht«, sagte sie beinahe heiter, als wäre es kaum von Belang.
Mercurio schüttelte völlig befremdet den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht. Das glaube ich einfach nicht … Das …«
»Sieh mich an«, unterbrach Giuditta ihn. Sie wusste, dass sie sonst gleich anfangen würde zu schreien. Und sie musste doch Ruhe bewahren. »Ich-lie-be-dich-nicht«, sagte sie und betonte jede Silbe einzeln.
Mercurio starrte sie an und erkannte sie nicht wieder. Keuchend presste er die Hände gegen die Brust und sah zu Boden.
»Sieh mich an«, wiederholte Giuditta. Sie wartete ab, bis Mercurios Blick wieder auf sie gerichtet war, und hoffte, dass die Dunkelheit die Verzweiflung in ihren Augen verbarg. »Sieh genau hin, sieh in meine Augen. Entdeckst du dort etwa Schmerz? Oder eine Lüge?« Giuditta klang so gelassen, als würde sie mit jemandem reden, für den sie vielleicht Mitleid, nicht jedoch Liebe empfand. Doch innerlich meinte sie zu sterben. »Nein, nicht wahr?«, fuhr sie fort und senkte ihre Stimme. »Du siehst mich an und siehst … nichts. Und weißt du auch, warum? Weil ich dich eben nicht liebe.«
Mercurio ging einen Schritt auf sie zu.
Giuditta verkrampfte sich.
Er streckte eine Hand nach ihr aus.
»Nein!«, schrie Giuditta auf. Eine körperliche Berührung hätte sie nicht ertragen. Das wäre zu viel gewesen. »Nein«, wiederholte sie, diesmal ausdruckslos.
Mercurio zog schnell die Hand zurück. »Das glaube ich
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