Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
einen Stich. »Was ist zwischen euch?«, fragte sie misstrauisch, während sich in ihrem Kopf ein Verdacht Bahn brach. Sie kannte dieses Leuchten in den Augen einer Frau. Giuditta sah aus, als wüsste sie, was es heißt, von dem Mann begehrt zu werden, den sie liebte. »Warst du im Bett mit ihm?«, fragte sie mit rauer Stimme, obwohl sie eigentlich keine Antwort benötigte. Sie hatte sie schon in Giudittas Augen gelesen. Und noch während sie diese Worte aussprach, durchzuckte ihre Brust ein wilder Schmerz. So heftig, dass sie die Kiefer aufeinanderpresste und mit den Zähnen knirschte wie ein wildes Tier.
Errötend wich Giuditta einen Schritt zurück.
»Du Hure!«, schrie Benedetta wütend und erhob die Hand, als wollte sie sie ohrfeigen. Doch sie hielt sich zurück. »Du kleine jüdische Hure!«, schrie sie keuchend. »Ja! Es ist wahr! Ich liebe ihn so sehr, dass ich bereit bin, ihn zu töten!« Benedetta starrte Giuditta an. »Aber das wirst du niemals verstehen«, sagte sie leise mit heiserer Stimme. »Denn du bist keine richtige Frau, sondern nur eine liederliche Schlampe mit triefender Möse und einem vertrockneten Herzen. Eine richtige Frau ist zu allem bereit für den Mann, den sie liebt. Selbst wenn es seinen Tod bedeutet!« Benedetta sah sie so hasserfüllt an, dass Giuditta noch einen weiteren Schritt zurückwich. »Und du, kannst du das auch? Bist du bereit, alles für ihn zu tun? Selbst wenn du dafür auf ihn verzichten müsstest?« Benedetta hielt inne, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. »Ich gebe dir Gelegenheit, dich einmal in deinem armseligen Leben wie eine richtige Frau zu verhalten. Beweise, dass du ihn so liebst, wie du gesagt hast. Verlass ihn. Schick ihn weg.« Sie richtete einen Finger auf Giuditta. »Und versuch, überzeugend zu sein! Wenn ich erfahre, dass du ihn heimlich triffst …« Sie ließ den Satz unbeendet und sah Giuditta nur mit brennenden Augen an. Dann drehte sie sich abrupt um, packte die Klingelschnur, die von der Decke hing, und zog wütend daran. Als die Tür geöffnet wurde und der Diener erschien, befahl sie ihm: »Wirf diese jüdische Schlampe hinaus!«
Sobald Giuditta draußen war, fasste sie sich mit einer Hand ans Herz. Sie war keines klaren Gedankens fähig. Sie konnte einfach nicht glauben, was ihr gerade geschehen war. Keuchend blieb sie stehen und lehnte sich an eine Hauswand. Das Treiben um sie herum nahm sie kaum wahr. Sie atmete tief durch, während sich der Sturm der Gefühle, der durch ihren Körper toste, allmählich beruhigte. Sie musste nachdenken. Und wenn Benedetta sich all das nur ausgedacht hatte? Aber wie sollte sie es herausfinden? Es gab wohl nur eine Möglichkeit: Nur Mercurio konnte ihr das erklären. Sie würde ihn nach dem Fürsten Contarini fragen, und … Doch im gleichen Augenblick wurde ihr klar, dass eben das unmöglich war. Nein, sie durfte Mercurio nicht fragen. Wenn er Benedettas Erzählung bestätigte, würde er ganz bestimmt nicht akzeptieren, sie niemals wiederzusehen. Dann wüsste er ja, dass sie ihn aus einem bestimmten Grund mied und dass Benedetta etwas damit zu tun hatte. Nein, die Gefahr war zu groß. Sie durfte nicht riskieren, dass Mercurio ihre Zurückweisung nicht akzeptierte. Es stimmte, Mercurio war ohne offensichtlichen Grund nach Mestre umgezogen. Und dass Mercurio Scarabello kannte, entsprach ebenfalls der Wahrheit. Mehr hatte Giuditta nicht in der Hand, um ihre Entscheidung zu treffen.
Sie begriff nun, was Benedetta gemeint hatte. Wenn sie Mercurio wirklich liebte, durfte sie nicht riskieren, ihn dem sicheren Tod auszuliefern. Selbst wenn sie nicht genau wusste, ob die Geschichte stimmte, musste sie ihn von sich fernhalten. Sie hatte doch gerade gesehen, wozu dieses Ungeheuer von einem Fürsten fähig war, und hatte erfahren, wie sehr Benedetta sie hasste.
»Ich liebe dich …«, sagte sie leise, doch sein Name kam ihr nicht über die Lippen.
Giuditta ließ sich in völliger Verzweiflung zu Boden sinken. Ihr Kopf war von einem einzigen Gedanken beherrscht: Mein Leben ist zu Ende.
So blieb sie bis zum Abend sitzen, während die Leute an ihr vorbeizogen. Als es dunkel wurde, schleppte sie sich erschöpft zum Ghetto der Juden. Sie hatte die Brücke zwischen den beiden Toren beinahe erreicht, als sie ihrem Vater begegnete, der gerade aus einem Boot stieg.
»Wo warst du?«, fragte Isacco.
»Ach, nirgendwo«, antwortete Giuditta kaum hörbar und wich seinem Blick aus.
»Was hast du
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