Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
gegen ihn wehrte, wurde er heftig und quälend wie eine offene, blutende Wunde.
Giuditta legte die Hände auf ihr Gesicht und drückte fest die Finger gegen die Augen, aus denen dennoch Tränen quollen. Und dann schluchzte sie auf, keuchte endlich all den Schmerz darüber heraus, dass sie für immer auf Mercurio verzichtet hatte.
Giuditta schaute auf und sah sich um. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie vor dem Palazzo stand, in dem Benedetta mit ihrem grausamen Geliebten lebte. Sie begriff, dass ihre Beine sie nicht zufällig hierher getragen hatten. Dass sie ihr damit sagen wollten: Sie musste und sie konnte etwas tun.
Mit klopfendem Herzen betrachtete sie den Eingang zum Palazzo und spürte eine schreckliche Angst in sich aufsteigen. Vor ihrem inneren Auge sah sie noch einmal die Szene erstehen, die sie durch Benedettas geschicktes Manöver beobachtet hatte. Sie sah wieder vor sich, wie der Fürst jenem Mann die Wange aufgeschlitzt hatte. Sah all das Blut. Und sie spürte, wie ihr der Atem stockte.
Dennoch war sie hierhergekommen. Warum nur?
»Ich muss mit dem Fürsten sprechen«, sagte sie laut vor sich hin, um sich Mut zuzusprechen.
Vielleicht würde er sich ja überreden lassen, Mercurio nichts anzutun. Doch war es überhaupt möglich, einen so grausamen Mann umzustimmen?
Aber was hatte sie schon zu verlieren? Ihr Leben war auf jeden Fall zu Ende. Sie musste es versuchen.
Sie machte einen Schritt auf das Tor zu. Zwei bewaffnete Wachen und der Pförtner wandten sich zu ihr um, betrachteten verächtlich ihren gelben Hut. Giuditta machte noch einen Schritt vorwärts, doch im gleichen Moment sah sie auf der Straße den Heiligen herannahen. Er war in Begleitung einer Schar finster aussehender Anhänger, die Stöcke in den Händen hielten und höhnisch lachten. Giuditta zog sich gleich wieder in den Schutz der Mauer zurück und beobachtete, wie der Heilige auf den Palazzo zuging.
Der dunkle Himmel begann nun all das Wasser auszugießen, das er bis jetzt zurückgehalten hatte. Zunächst fielen nur ein paar Tropfen, doch unvermittelt hatte ein kalter Platzregen Giudittas Kleider durchnässt, durchdrang Wolle, Seide und Leinen.
Giuditta fühlte, wie das kalte Wasser ihre Haut erreichte und ihre Muskeln sich fröstelnd zusammenzogen.
Der Heilige lief auf die große Eingangstür des Palazzo zu. Zum Abschied hob er seine Hände mit den Malen empor, und seine Anhänger zerstreuten sich.
Giuditta blieb wie gelähmt unter dem unaufhörlich prasselnden Regen stehen, unfähig, auch nur einen Schritt zu tun, um sich vor ihm in Sicherheit zu bringen.
Der Heilige war ihren Blicken schon fast entschwunden, als er sich beinahe bodentief verneigte. Kurz darauf kam der Fürst hinkend durch die Tür, am Arm Benedetta, die blass aussah und dunkle Ringe um die Augen hatte.
Giuditta zuckte zusammen.
Vier Diener rannten diensteifrig aus dem Palazzo. Sie trugen an vier schwarzen, bemalten Pfählen eine Art Segel aus einem weißen, golddurchwirkten Stoff und stellten sich damit vor dem Eingang auf. Der Fürst und Benedetta sahen zum Himmel auf, dann verabschiedete sich Contarini von seiner Geliebten und begab sich unter das Segel, das ihm ausreichenden Schutz vor dem Regen bot. Als er vorwärtslief, setzten die Diener sich gleichzeitig mit ihm in Bewegung, sodass kein Regentropfen ihn treffen konnte.
Giuditta trat einen Schritt vor. Wenn sie mit dem Fürsten sprechen wollte, war jetzt die Gelegenheit dazu.
Im gleichen Moment hatte Benedetta sie entdeckt. »Rinaldo!«, rief sie.
Fürst Contarini wandte sich um.
Benedetta hob einen Arm und zeigte auf Giuditta. »Sie ist es!«
Der Fürst folgte mit dem Blick Benedettas ausgestrecktem Arm und begegnete Giudittas Augen. Er neigte seinen großen missgebildeten Kopf und betrachtete sie scheinbar neugierig. Dann verzog er den Mund zu etwas, das wohl ein Lächeln sein sollte, und enthüllte so eine Reihe von spitzen Raubfischzähnen. Er hob seinen verkrüppelten Arm, den er nicht ganz ausstrecken konnte, und zeigte mit einem in sich verkrümmten Finger ebenfalls auf sie.
Giuditta stand inmitten der Gasse da, völlig vom Regen durchnässt, mit dem gelben Judenhut, der schwer auf ihrem Kopf lastete. Sie sah in die ausdruckslosen Augen des Fürsten, betrachtete seine spitzen Zähne, den verkrüppelten Arm, und eine schreckliche Furcht erfüllte sie. Ängstlich riss sie den Mund auf und flüchtete unter dem Gelächter von Fürst Contarini und Benedetta.
Als sie immer noch zu Tode
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