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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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erschrocken und völlig durchweicht das Ghetto erreichte, hatte es zu regnen aufgehört. Atemlos überquerte sie die Brücke und sah schon von Weitem eine Menschentraube vor ihrem Laden stehen. Sie rannte los.
    Die Leute traten zur Seite und gaben ihr den Weg frei.
    Als Giuditta keuchend am Laden ankam, bemerkte sie als Erstes Ariel Bar Zadok, der mit seinem gelben Judenhut auf dem Schoß auf einem Stein vor ihrem Laden saß. Seine Frau presste ihm ein Taschentuch auf den Kopf, das sich rot färbte. Dann sah sie eine Frau von hinten, deren Kleid an einer Schulter zerrissen war. Als sie sich umdrehte, sah Giuditta, dass es Octavia war. Sie hielt das Kleid mit einer Hand hoch, damit sie bedeckt blieb. Ihre Augen waren schreckgeweitet. Und erst jetzt bemerkte Giuditta, dass der Boden mit Stofffetzen aus Samt und Seide übersät war. Und sie sah, dass das Schaufenster eingeschlagen war und regennasse, glitzernde Glassplitter das düstere Grau des Himmels zurückwarfen.
    »Sie haben uns überfallen …«, flüsterte Octavia kaum hörbar.
    »Der Heilige«, sagte eine Frau hinter ihr.
    »Sie hatten Holzstöcke und Steine und haben immer wieder laut …« Octavia versagte die Stimme.
    »… ›Hexe‹ geschrien«, schloss die Frau, die zuerst gesprochen hatte.
    »Die Wachen sind viel zu spät gekommen«, sagte Ariel Bar Zadok.
    Giudittas Blick fiel wieder auf das Werk der Zerstörung, während die triefnassen Kleider ihren Körper auskühlten. Sie erschauerte und wandte sich den Wachen auf der Brücke zu. Dann beugte sie sich hinunter und hob einen Fetzen Seide auf.
    »Warum nur …?«, fragte Octavia leise.
    »Weil Gott uns verlassen hat …«, antwortete Giuditta.
    »Sag das nicht.«
    Alle Augen waren auf Giuditta gerichtet.
    Ein Windstoß wirbelte eine blutbefleckte Rabenfeder in die Luft, die aus einem im Straßenschmutz versunkenen Kleiderfetzen hervorgekommen war.
    »Weil über mir ein Fluch schwebt«, sagte Giuditta.

74
    S carabello berührte seine Lippe. Die Wunde hatte einen großen Teil des Fleisches weggefressen.
    Mercurio hatte sich zu Scarabello gesetzt, den man in einem Winkel des Stalls auf eine Liege gelegt hatte, während ringsherum die Arbeiten munter vorangingen.
    Scarabello deutete auf Lanzafame. »Der lässt mich nicht aus den Augen«, bemerkte er.
    Mercurio drehte sich um und begegnete dem grimmigen Blick des Hauptmanns.
    »Ich glaube, er will auf keinen Fall meinen Tod verpassen«, erklärte Scarabello lächelnd. Die Wunde an seiner Lippe blutete ein wenig, und er verzog vor Schmerz das Gesicht. In der Innenseite seiner Wange hatte er ebenfalls eine Wunde und eine weitere auf dem Unterarm, und auch auf seinen Geschlechtsteilen hatte er weitere Wunden entdeckt. Die Drüsen in seinen Achseln hatten sich entzündet und waren schmerzhaft angeschwollen.
    Mercurio sah, wie Scarabello mit jedem Tag schwächer und blasser wurde.
    »Weißt du, was das Schlimmste daran ist?«, sagte Scarabello. »Den Schmerz der Wunden kann ich aushalten, aber ich habe bemerkt, dass mein Kopf mir mittlerweile üble Streiche spielt. Manchmal spüre ich, dass ich kaum noch vernünftig denken kann.«
    Mercurio sah ihn schweigend an. Es war noch nicht allzu lange her, dass er sich gewünscht hatte, ihn zu töten. Und jetzt saß er an seinem Bett und hörte ihm zu, als wäre er sein Freund. Sein einziger Freund.
    »Ich habe den Doktor gefragt«, fuhr Scarabello fort. »Er hat mir erklärt, dass viele schwachsinnig werden, bevor sie sterben.« Seine Augen trübten sich kurz ein. »Nein, der Doktor erspart mir nichts. Er beschreibt mir diese Krankheit ganz genau. Und auch den Tod, der mich erwartet. Jede Einzelheit. Er behandelt mich genauso sorgfältig wie alle anderen, aber …« Scarabello schüttelte den Kopf. »Aber er kann nicht vergessen, dass ich seinen Freund getötet habe. Ich bewundere ihn. Jedes Mal wenn er sich um mich kümmert, muss er einen schrecklichen Kampf mit sich ausfechten, das sehe ich. Ich bewundere ihn aufrichtig dafür. Ich hätte das nie getan.«
    Mercurio nickte.
    »Und warum hast du es getan?«, fragte ihn Scarabello.
    »Was?«
    »Mir geholfen.«
    Mercurio zuckte die Schultern. »Weil ich gerade nichts Besseres vorhatte.«
    Scarabello lachte leise. Er presste eine Hand an seine Brust und hustete. »Du bist wirklich sentimental, Junge.«
    Mercurio blieb ernst.
    »Wenn es auf mein Ende zugeht, werde ich dir sagen, wo ich mein Geld aufbewahre«, fuhr Scarabello fort. »Und du gibst dem Kräuterkrämer Paolo

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