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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Spielzeug aus zwei ineinandergefügten Holzstücken. Ein Tier. Die beiden Holzteile waren so kunstfertig geschnitzt und ineinandergesteckt, dass es aussah, als würde das Tier seinen Hals drehen.
    »Ich bin hier«, sagte der kleine Junge noch einmal und beantwortete damit die Frage, die Zolfo an Ercole gerichtet hatte.
    »Ich sehe dich«, erwiderte Zolfo, während er weiter darüber nachdachte, dass Benedetta, er selbst und der Heilige bestimmt Geschöpfe Gottes waren, doch dass dieser vergessen hatte, ihnen Liebe mitzugeben. Und dass der Teufel diese Leere wohl mit einer doppelten Menge Hass ausgefüllt hatte. »Wo ist deine Mutter?«, fragte er den Jungen, während in seinem Kopf ein von finsteren Kräften eingegebener Gedanke entstand.
    Der Junge steckte einen Daumen in den Mund und lutschte daran, ohne ihm zu antworten. Mit der anderen Hand drehte er den Hals seines Tieres.
    Von Benedetta oder dem Heiligen würde er niemals Liebe erhalten, dachte Zolfo. Sie kannten nur eine einzige Währung, und das war Hass. Nur so konnte er sich ihre Aufmerksamkeit sichern – und vielleicht ein wenig Zärtlichkeit. Also musste er seinem Hass freien Lauf lassen und ihn ganz in den Dienst von Benedettas und Fra’ Amadeos Plänen stellen.
    Zolfo blickte sich um. Die Straße war menschenleer. Er schaute nach oben. Sämtliche Fensterläden der Häuser waren geschlossen.
    »Willst du einen Marchetto?«, fragte er den kleinen Jungen und zeigte ihm eine Münze.
    Der Junge kam auf ihn zu und streckte ihm seine kleine Hand entgegen.
    »Komm«, sagte Zolfo und schlüpfte unter einen dunklen Durchgang, in dem es nach verfaultem Fisch und Pisse stank.
    Der Junge folgte ihm, wie gebannt von der glänzenden Münze.
    Zolfo nahm einen spitzen Stein auf und hob ihn hoch in die Luft. Wenn er diesen Jungen töten und die Schuld auf Giuditta und die Juden schieben würde, wären Benedetta und der Heilige stolz auf ihn.
    Er spürte, dass eine dunkle Kraft sich seiner bemächtigte, wie ein giftiger Rauch. Sein ganzer Körper zitterte, und mit ihm seine Seele, während er sich vorstellte, wie er den kleinen Jungen mit dem Stein erschlug. Mit aller Macht stellte er sich vor, wie der Kleine starb, wie er verblutete. Und die dunkle Kraft, die sich seiner bemächtigt hatte, ließ ihn sehen, dass er darüber lachen könnte, dass es ihm gefallen würde. Dass er seine Hände in das Blut jenes kleinen Jungen tauchen und so in diesem See aus Blut seinen Rachedurst stillen würde, seine Enttäuschung, seinen Hass. Sein Schmerz würde vergehen, und die dunkle Kraft würde versiegen.
    Dazu musste er nur eins tun. Er brauchte nur dieses wehrlose Kind zu töten. Ein harter Schlag gegen die Schläfe, wo das Blut heftig pulsierte. Ein einziger Schlag. Und dann würde er dieses Opfer dem Heiligen und Benedetta darbieten, und sie würden ihn liebhaben, ihn umarmen und liebkosen. Weil er es so einrichten würde, dass die Schuld für den Tod des Jungen auf die Juden, auf Giuditta zurückfiele.
    Ein Unschuldiger, der für andere Unschuldige sein Leben ließ, dachte Zolfo plötzlich.
    Unfähig, dieses Bild aus seinem Kopf zu verbannen, sah er sich plötzlich selbst auf dem Boden liegen, mit zerschmettertem Schädel, während sich sein Blut mit dem Straßenschmutz vermischte. Und er sah, wie ihm sterbend der dunkle Rauch aus dem Mund quoll, als hauchte er ihn mitsamt seinem Leben aus. Er sah, wie Benedetta und der Heilige über ihn lachten. Und er erkannte, dass der schwarze Rauch von ihnen stammte. Dass das schlimmste Übel von ihnen kam. Dass sie sich seiner bemächtigt hatten.
    Er erstarrte mit erhobener Hand, und der spitze Stein schwebte weiterhin in der Luft.
    Der kleine Junge sah etwas in Zolfos Augen, das ihm plötzlich Angst einzuflößen schien. Das Spielzeug glitt aus seiner Hand und landete im Schlamm. Ohne es wieder aufzuheben, rannte er davon.
    Zolfo blieb noch einen Augenblick mit dem Stein in der Hand stehen. Und als er sich in der Furcht des kleinen Jungen selbst wiedererkannte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Seine Hand öffnete sich, und der Stein fiel neben das Spielzeug des Jungen. Zolfo ließ sich zu Boden sinken. Er hob das Spielzeug auf und drehte es zwischen seinen Händen. Er bewegte den Hals des geschnitzten Tiers.
    »Wundaschön …«, flüsterte er mit Ercoles Stimme.
    Er hatte Angst und wusste nicht, was er tun sollte. Wohin er gehen sollte.
    »Zolfo hat Angschd vor dem Ddunkeln …«, sagte er, wie Ercole es gesagt hätte. Und fühlte

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