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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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herumschwirrt, ist er vielleicht eher eine lästige Fliege und kein Äffchen«, sagte einer von den Abenteurern.
    Der Heilige lachte laut.
    Zolfo wäre am liebsten im Boden versunken.
    Als das Gelächter verstummte, sah der Heilige Zolfo ausdruckslos an und gab ihm ungeduldig ein verstohlenes Zeichen.
    »Heute Nacht habe ich von der Heiligen Jungfrau Maria geträumt, die in einen Lichtkranz eingehüllt war«, sagte Zolfo und wiederholte damit eher lustlos den Satz, den der Heilige ihm eingebläut hatte. »Und sie hat mir befohlen, euch zu sagen, dass die Juden das Kind, das auf Torcello verschwunden ist, für ihre teuflischen Rituale entführt haben«, fuhr er fort.
    Der Heilige wandte sich an seine Zuhörer und sagte feierlich: »Die Heilige Jungfrau Maria hat sich mir durch den Mund dieses törichten Jungen offenbart. Wir müssen das verschwundene Kind in den Häusern der Juden suchen, in ihrem unreinen Tempel, im Bett ihres Rabbiners.«
    Die kleine Menge wurde unruhig. Alle wandten sich dem Heiligen zu, in der Erwartung, dass das göttliche Licht seiner Male und die Weisheit seiner Worte über sie kommen und sie von ihren Sünden lossprechen würde. »Juden, Satansvolk«, flüsterten sie.
    Zolfo blieb noch einen Moment stehen. Er hoffte, dass Fra’ Amadeo ihm zulächeln oder ihm ein anderes Zeichen geben würde, um auszudrücken, dass er seine Rolle gut gespielt hatte. Doch der Heilige würdigte ihn keines Blickes mehr. Daraufhin verschwand Zolfo unbemerkt und trug nacheinander die Pakete mit den Kleidern aus.
    Als er fertig war, wurde ihm bewusst, dass er sich beinahe davor fürchtete, in den Palazzo zurückzukehren. Er fürchtete sich vor der Einsamkeit, die er nicht mehr leugnen konnte. Fra’ Amadeo hatte ihn verraten. Er bedeutete ihm nichts. Und er hatte ihm niemals etwas bedeutet. Auch Benedetta dachte nur an sich selbst und hatte nichts als ihren Hass auf Giuditta im Kopf.
    Du bist allein, dachte Zolfo.
    Und nachdem er nun monatelang nur noch für diesen wilden Hass gegen die Juden gelebt und geatmet hatte, quälte diese Missachtung seine Seele und versetzte ihm einen brennenden Stich im Magen. Er presste die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Dann öffnete er seine Jacke, um nachzusehen, ob dort etwas wäre. Doch er konnte nichts entdecken. Er legte eine Hand auf seinen Magen und drückte zu.
    »Drück fester …«, sagte er.
    Doch er hatte das Gefühl, dass es nicht seine Stimme war, sondern die von Mercurio. Und als er dann an sich hinuntersah und seinen Unterleib betrachtete, musste er feststellen, dass auch der nicht zu ihm gehörte. Und nicht einmal der Schmerz gehörte ihm. Es war der Schmerz, den der tödlich verwundete Ercole empfunden hatte. Leise schluchzend sackte er in sich zusammen.
    »Wo bist du nur, du blöder Kerl?«, flüsterte er. »Wo bist du? Du fehlst mir … Du fehlst mir so sehr …«
    Zolfo stand auf. Er irrte ziellos durch Venedig und stellte sich vor, dass er Hand in Hand mit Ercole lief, so wie früher. Er sah dessen hässliches Gesicht vor sich. Doch für ihn war es schön. Er sah Ercoles dümmlichen Gesichtsausdruck vor sich und dachte, dass er nie etwas Warmherzigeres gesehen hatte. Die Augen von Benedetta und dem Heiligen dagegen waren leer, wie die von Toten.
    Du blöder Trottel, du fehlst mir so, dachte er, während er in ein unbekanntes Viertel mit niedrigen Häusern aus Holz und Ziegelsteinen vordrang, wo seine Füße im Straßenschlamm versanken. In den offenen Abwasserkanälen schwammen Exkremente und Ratten so groß wie Katzen.
    »Wo bist du, Ercole?«, fragte er sich laut.
    Eine Zeit lang hatte er geglaubt, dass auch Benedetta ihm solche Zuwendung schenken könnte. Aber er hatte sich geirrt. Und bis vor Kurzem hatte er sich an die Hoffnung geklammert, dass der Heilige ihm Liebe geben konnte. Doch keiner von beiden wusste überhaupt, was dieses Wort bedeutete. Benedetta und der Heilige waren dunkle, von Hass erfüllte Kreaturen, so wie er. Ercole dagegen war anders gewesen.
    »Wo bist du?«, wiederholte er und blieb stehen.
    »Hier«, hörte er ein dünnes Stimmchen links von ihm rufen.
    Zolfo drehte sich um. Hinter einem halb verrotteten Zaun tauchte der Kopf eines Kindes auf. Der etwa fünfjährige Junge war schmutzig, trug verdreckte kurze Hosen, und seine dünnen Beinchen endeten in zwei Holzpantinen, von denen an einer etwas abgesplittert war. An seiner Oberlippe klebte ein langer angetrockneter Rotzstreifen, und in seiner Hand hielt er ein seltsames

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