Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Lippen. »Ja, so ist es besser«, sagte er zu ihr. Sein Blick fiel auf ihren Ausschnitt. »Denk nicht daran.« Er winkte seinen Soldaten, weiterzumarschieren.
Obwohl es noch sehr früh am Tag war, schien die Sonne draußen blendend hell. Die feuchte warme Luft nahm einem den Atem. Die wenigen Leute, die bereits draußen warteten, hatten Schweißperlen auf der Haut.
»Hexe! Hure des Teufels! Verfluchtes Weib!«, schrien sie, kaum dass sie Giuditta erblickten.
»Aus dem Weg!«, befahl Lanzafame.
Die beiden Soldaten an der Spitze des Zuges schlugen ohne zu zögern auf einen Eiferer ein, der Giuditta angespuckt hatte. Sofort wichen die Leute zurück und folgten ihnen wütend schreiend, ohne jedoch weitere Aufregung zu verursachen.
»Hör gar nicht hin«, sagte Lanzafame zu Giuditta.
»Und wie geht das?«, versuchte Giuditta zu scherzen.
Lanzafame nickte ernst. »Ich kann mir vorstellen, was du empfindest.« Inzwischen hatten sie den Markusplatz hinter sich gelassen und waren in die Calle dell’Ascensione eingebogen, um dann die Salizada di San Mosè zu nehmen. Erst dort fragte Lanzafame: »Hat dein Verteidiger dich eigentlich besucht, um mit dir zu sprechen?«
Giuditta sah ihn erstaunt an: »Hätte er das tun sollen?«
»Verdammte Scheiße!«, fluchte Lanzafame.
»Ist das schlimm?«, fragte Giuditta besorgt.
»Aber nein … natürlich nicht …«, antwortete Lanzafame, um sie zu beruhigen. Er verfiel in Schweigen. Dass der Verteidiger sich nicht hatte blicken lassen, war nicht gerade ermutigend. Lanzafame betete stumm, dass der Prozess nicht zu einer reinen Posse geraten würde, während sie sich hinter dem Campo San Mosè nach rechts wandten. Durch diesen Umweg zur Gemeinde San Bartolomeo wollte er vermeiden, dass sich Giuditta in der Calle degli Specchieri, der Gasse der Spiegelmacher, in jedem Schaufenster betrachten musste.
Während sie den Rio dei Fuseri in San Luca entlangliefen, fiel dem Hauptmann ein Boot auf. An Bord erkannte er die beiden hünenhaften buonavoglia, die sonst Mercurio herumfuhren. Das Boot folgte ihnen in einigem Abstand beinahe bis San Bartolomeo und legte an einem kleinen Holzsteg an. Lanzafame dachte sich, dass Mercurio sie zu seiner Unterstützung dorthin gebeten hatte.
Vor dem Kapitelsaal des Konvents der Heiligen Kosmas und Damian hatten sich schon zahlreiche Menschen versammelt. Sobald sie Giuditta erblickten, ging ein aufgeregtes Raunen durch die Menge, und sie wogte leicht hin und her, wie wenn ein Windhauch das Wasser der Lagune kräuselte.
»Bildet einen festen Ring um sie und lasst niemanden an sie heran«, befahl Lanzafame seinen Soldaten. Dann drückte er Giudittas Arm. »Keine Sorge. Ich kümmere mich um dich.«
Auf dem Weg durch die Menge, die unter Schmährufen auf die Hexe beiseitewich, blickte Giuditta sich suchend nach Mercurio um. Am Tag zuvor, als sie ihn auf der Piazzetta vor dem Dogenpalast aus ihrem Käfig hoch über der Menge entdeckt hatte, hatte sie gefühlt, dass noch nicht alles verloren war, und wohl erst da hatte sie zur Gänze erkannt, warum sie ihren Vater gebeten hatte, ihm Bescheid zu sagen. Denn wenn Mercurio sie ansah, fühlte sie sich sicherer, mit ihm an ihrer Seite war die Angst nicht mehr so schrecklich. Wenn sie wusste, dass Mercurio mit ihr litt, konnte sie jeden Schmerz ertragen.
»Hure des Teufels! Hexe!«
Lanzafame stieß Giuditta jetzt entschieden vorwärts, weil er den Platz vor dem Konvent rasch hinter sich bringen wollte, um möglichst kein Risiko einzugehen. Doch Giuditta wehrte sich dagegen, weil ihre Augen immer noch nach Mercurio suchten.
»Er wird schon drinnen sein«, beruhigte sie Lanzafame.
Giuditta wandte sich um und sah ihm in die Augen.
»Da ein gewisser Kommandant der Wachen nach ihm sucht, musste er sich verkleiden«, erklärte Lanzafame ihr. »Wahrscheinlich erkennst du ihn nicht einmal … Aber er wird da sein.«
»Wirklich?«, fragte Giuditta kaum hörbar.
»Ja«, beruhigte sie der Hauptmann. »Jetzt lass uns aber weitergehen. Das gefällt mir gar nicht, hier draußen unter all den Eiferern.« Er sah seine Soldaten auffordernd an. »Marschiert!«
Sie erreichten einen bewachten Seiteneingang des Kapitelsaals. Die beiden bewaffneten Soldaten taten sofort einen Schritt zur Seite, und Lanzafame trat ein, gefolgt von seinen Männern und Giuditta. Der Seiteneingang führte in einen großen, kahlen Raum.
»Dann sind wir also so weit«, sagte der Heilige, als er sie entdeckte.
Sobald der Patriarch von Venedig mit
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