Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
ergab.
»Ja, Euer Exzellenz«, antwortete der exceptor, der die Aufgabe hatte, den gesamten Prozess bis in jede Einzelheit mitzuschreiben.
»Dann kann die quaestio beginnen«, verkündete der Patriarch.
Ja, die Posse kann beginnen, dachte Mercurio und versuchte, Halt in seinem Zorn zu finden, da seine Beine vor Angst und Sorge zitterten. Er sah Giuditta an und bemerkte, dass sie versuchte, ihn in der Menge ausfindig zu machen. Bestimmt hatte Hauptmann Lanzafame ihr mitgeteilt, dass er sich hatte verkleiden müssen, aber Giuditta gab trotzdem den Versuch nicht auf, ihn zu finden. Und auch er sehnte sich danach, sich zu erkennen zu geben, ihr zu sagen, unter welcher Verkleidung er sich verbarg. Doch das durfte er nicht. Gerade damit Giuditta nichts geschah. Sollte er verhaftet werden – und er hatte schon bemerkt, dass der Kommandant der Wache des Dogenpalastes, dem er die Nase gebrochen hatte, die Menschen im Saal auf der Suche nach ihm argwöhnisch musterte –, wäre jede Hoffnung, Giuditta zu retten, dahin. So schwer es auch sein mochte, er musste diese Last allein tragen und durfte sich nicht zu erkennen geben. Nun konzentrierte er sich ganz auf den Heiligen. Er sah ihn hasserfüllt an und wünschte ihm, er möge auf der Stelle tot umfallen.
Der Heilige verneigte sich, umrundete den Tisch, richtete den Zeigefinger anklagend auf Giuditta und schritt schweigend über die ganze Breite der Tribüne, bis er schließlich vor dem Käfig stand. Doch dabei beließ er es nicht. Er steckte den Finger in den Käfig, worauf die Menge erschauerte, und zwang die verängstigte Giuditta zurückzuweichen. »Die Säuberung von Venedig hat begonnen!«, schrie er.
Die Menge verfolgte gebannt und fasziniert das Spektakel.
»Ein guter Schauspieler«, sagte Giustiniani leise zum Patriarchen.
»Ein armseliger Komödiant!«, brummte der Patriarch.
»Und Schlangen des Bösen wie dich werden wir unter unseren Füßen zerquetschen!«, fuhr der Heilige fort. Er zog den Arm aus dem Käfig zurück und eilte dann dicht vor die Menge, wo er sich breitbeinig aufbaute. »Heute und über die Dauer dieses gesamten Heiligen Prozesses, oh arg geplagtes Volk von Venedig, werde ich beweisen, dass diese …« Er ließ den Satz zunächst unbeendet, als müsste er einen neuen Anlauf nehmen, dann rief er vehement: »… Hexe … mit ihrem Herrn und Meister Satan höchstpersönlich Ränke geschmiedet hat, um sich der Seelen von Venedigs Frauen zu bemächtigen!« Dann wandte er sich dem Tisch zu, auf dem er blutbeschmierte Rabenfedern, Milchzähne, Schlangenhaut, getrocknete Frösche, Haarknoten und anderes, was man in Giudittas Kleidern gefunden hatte, ausgebreitet hatte. »Und hier seht ihr die Beweise für dieses Hexenwerk!«
Pater Venceslao da Ugovizza stand auf und sah sich die Beweise an, doch da seine Augen so schlecht waren, musste er sich derart tief über jeden einzelnen Gegenstand beugen, dass jemand aus der Menge rief: »Was machst du denn, Mönch, willst du sie erschnüffeln?«
Die Leute lachten laut.
»Ruhe!«, rief donnernd der Patriarch. Dann wandte er sich wütend an Pater Venceslao: »Und Ihr, setzt Euch hin!«
Demütig und verlegen eilte der Dominikanermönch wieder zu seinem Stuhl.
»Hör mich an, Venedig!«, fuhr der Heilige fort, und als er sah, dass viele Leute unter den Zuhörern immer noch auf den Dominikanermönch schauten, wiederholte er etwas lauter: »Venedig! Hör … mich … an!«
Da wandte die Menge ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu.
»Satans Pesthauch hat unsere geliebten Gassen mit Schmutz überzogen und unsere Kanäle getrübt«, fuhr der Heilige fort. »Und diesen Pesthauch hat jene Frau in unsere Stadt gebracht«, er zeigte anklagend auf Giuditta, »und ihr Volk. Die Juden! Die verfluchten Judäer! Kindsmörder, Gottesmörder, die unseren Herrn Jesus Christus und die Unbefleckte Empfängnis verlachen und schmähen! Wucherer!« Der Heilige sah sich im Saal um. »Das Volk mit den gelben Hüten!«
Viele Augen richteten sich auf Isacco, Octavia, Ariel Bar Zadok und andere Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die gekommen waren, um dem Prozess beizuwohnen. Der größte Teil jedoch, allen voran Anselmo del Banco, war ferngeblieben aus Furcht vor Ausschreitungen und Übergriffen.
Lanzafames Soldaten und die Wachen des Dogenpalastes legten die Hand an die Waffen, um der Menge zu zeigen, dass sie keine Tumulte dulden würden.
»Angeklagt ist hier scheinbar nur eine Frau, doch eigentlich machen wir heute allen
Weitere Kostenlose Bücher