Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
ganz so aus, als wüsstest du davon.«
»Redet keinen Unsinn, Doktor«, mahnte Mercurio, der Giuditta nach wie vor keinen Moment aus den Augen ließ.
»Bringt die Angeklagte zurück in ihre Zelle, wo sie ihren Prozess erwarten soll!«, befahl einer der Geistlichen auf der Tribüne.
Die Seilwinden ächzten, als der Käfig wieder heruntergelassen wurde.
»Kommt«, sagte Mercurio zu Isacco. »Versuchen wir, ob wir mit ihr sprechen können.« Er setzte die Ellbogen ein, um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, und versuchte, zu dem Käfig zu gelangen.
Isacco folgte ihm.
Als sie vor der Tribüne angelangt waren, begegnete Mercurio Lanzafames Blick.
»Jetzt?«, flüsterte Lanzafame beinahe unhörbar.
Mercurio schüttelte den Kopf. »Nein, jetzt würde die Menge sie in Stücke reißen«, sagte er und drehte sich zu Giuditta um, die gerade von zwei Soldaten beschützt den Käfig verließ.
Ihr Gesicht war vollkommen unkenntlich. Die Sommerhitze und ihre Tränen hatten die Schminke aufgelöst, ihre Wangen waren von schwarzen, roten und blauen Linien durchzogen. Die beiden bunten Haarsträhnen gaben von ihrer Farbe ab, sodass das Blau und das Gelb über ihren Busen tropfte. Doch inmitten dieser Farbkleckse waren Giudittas Augen weit aufgerissen und von grenzenloser Furcht erfüllt. »Hilf mir …«, flüsterte sie und streckte eine Hand nach Mercurio aus. Er trat zu ihr vor, ergriff ihre Hand und drückte sie fest. Er öffnete den Mund, um ihr etwas zu sagen, doch er brachte nichts heraus.
Giuditta versuchte, seine Hand festzuhalten, während Lanzafames Soldaten sie fortzogen, um sie vor der Wut der Menge zu schützen.
»Giuditta!«, schrie Isacco verzweifelt, der sie erst jetzt erreicht hatte.
Bei seinem Anblick brach Giuditta in Tränen aus.
»Mein Kind«, sagte Isacco verzweifelt. »Wie haben sie dich bloß zugerichtet?«
Mercurio starrte Giuditta immer noch mit offenem Mund an. Dann drängte sich die Menge so dicht um die Soldaten, dass sie seinen Blicken entschwand. Mercurio schlug um sich und versuchte, ihr zu folgen, weil er fürchtete, dass die Menge Lanzafame und seine Soldaten überrennen würde. Doch kurz darauf sah er, wie Giuditta unversehrt durch das Tor zu den Kerkern des Dogenpalastes geführt wurde.
»Verflucht sollen sie sein!«, knurrte Isacco hinter den Vertretern her. »Ja, sie sollen verflucht sein!«
»Ich muss gehen«, sagte Mercurio. »Ich sollte mich hier nicht sehen lassen.«
Isacco hielt ihn auf. »Ich habe mich in dir getäuscht, Junge«, sagte er.
»Ich muss gehen, Doktor«, drängte Mercurio. »Sagt Anna, dass ich für ein paar Tage nicht nach Hause komme.«
»Und wo wirst du bleiben?«
»Keine Sorge, ich habe einen sicheren Unterschlupf.«
»Aber du kommst doch zum Prozess?«, fragte ihn Isacco beinahe flehend.
»Natürlich«, erwiderte Mercurio. »Aber ich muss mich verkleiden.«
Isacco blickte ihn finster an. »Giuditta wird dich nicht erkennen …«
»Sagt es Lanzafame. Der wird es Giuditta schon ausrichten«, sagte Mercurio und sah in Richtung Dogenpalast. Dort erblickte er den Kommandanten, dem er die Nase gebrochen hatte. »Ich muss gehen.«
Isacco nickte, dann wandte er sich Octavia und Ariel Bar Zadok zu, die ganz in seiner Nähe standen. Auf ihren Gesichtern lag ein Hoffnungsschimmer, der auch ihm wieder etwas Mut gemacht hatte. Giuditta würde einen Verteidiger haben. Da tauchte hinter zwei riesigen Leibwachen Anselmo del Banco auf und kam auf ihn zu. Doch Isacco wollte jetzt nicht mit dem Obersten der Gemeinde reden und entschwand eilends in der Menge. Beim Weggehen sah er Mercurio im Gespräch mit dem Edelmann Giustiniani.
»Ihr habt den Dogen auf Eurer Seite«, sagte Mercurio gerade bewundernd zu ihm.
»Nein, Junge«, erklärte Giustiniani lächelnd. »Ich habe dem Dogen nur empfohlen, er solle sich gegen Ende dieses Spektakels sehen lassen, weil das Volk von Venedig versammelt war. Und alles, was die Menge und der Patriarch von Venedig daraus abgeleitet haben, ist ihre eigene Sache.«
Mercurio sah ihn voller Hochachtung an. »Wenn ich nicht glauben würde, Euch damit zu beleidigen, würde ich sagen, Ihr seid ein erstklassiger Betrüger.«
»Damit beleidigst du mich nicht. Was meinst du, worum es in der Politik geht?« Giustiniani sah sich um. »Ich habe Scarabello nirgendwo gesehen«, sagte er dann leicht verärgert. »Kommt er denn nicht selbst, um nachzusehen, ob ich mich seiner Erpressung füge?«
Mercurio sah ihn aufmerksam an und wusste in
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