Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
geworden.
»Edler Giustiniani, was Ihr verlangt, verstößt gegen die Bulle Seiner Heiligkeit Innozenz dem Dritten, Si adversus vos . Deshalb bin ich nicht in der Lage …«
»Verzeiht mir, Patriarch«, sagte Giustiniani und neigte demütig den Kopf, » Si adversus vos, ein Schriftstück, das zu studieren ich in meiner Jugend das Vergnügen hatte, sieht doch, wenn ich mich nicht irre, ebenfalls vor, dass der Prozess hinter verschlossenen Türen abgehalten wird.« Eindringlich sah er den Patriarchen an, der daraufhin verstummte. »Oder trügt mich da meine Erinnerung?«
Der Patriarch versteifte sich. Er hatte begriffen, worauf der Adlige aus dem Großen Rat hinauswollte. Wenn man schon eine so große Ausnahme machte, den Prozess öffentlich zu führen statt hinter verschlossenen Türen, warum konnte man dann nicht noch eine zulassen? »Edler Giustiniani, ich verstehe, was Ihr damit sagen wollt …«, begann er und rang verzweifelt nach Worten, um die Situation wieder zu seinen Gunsten zu wenden.
»Der Doge!«, rief in diesem Moment jemand in der Menge, und alle wandten sich dem Prachtbalkon des Dogenpalastes zu. Sogar der Patriarch unterbrach seine Ausführungen, drehte sich um und sah, dass Doge Loredan als Zeuge dieser Auseinandersetzung erschienen war. Und dass er sich zeigte, konnte nur eines bedeuten: Er unterstützte Giustinianis Forderung. Und das wiederum, dachte der Patriarch, bedeutete, dass der Große Rat und der Rat der Zehn sich auf dessen Seite stellten.
»Ich verstehe, was Ihr damit sagen wollt«, nahm der Patriarch lächelnd das Gespräch wieder auf und verneigte sich vor dem Dogen, »und als Bürger von Venedig kann ich, wenn auch ein Diener seiner Heiligkeit, nicht anders als Euch beizupflichten …« Er sah auf die Menge. Es musste ihm gelingen, die Menschen wieder auf seine Seite zu ziehen. »Und aus diesem Grund werden wir den Prozess nach den Regeln der Heiligen Inquisition durchführen, aber auch die Regeln unserer geliebten Stadt Venedig nicht außer Acht lassen!«, rief er aus.
Die Leute, die bis zu diesem Augenblick bereit gewesen wären, Giuditta auch ohne Prozess zum Tode auf dem Scheiterhaufen zu verurteilen, begeisterten sich jetzt für die Gerechtigkeit, allein weil es um eine Machtprobe zwischen Rom und Venedig ging.
Mercurio streckte die Fäuste zum Zeichen des Sieges in die Luft.
Isacco neben ihm hob den Blick zum Himmel und flüsterte: »Dank sei dir, Ha-Shem. «
Der Heilige sprang auf. »Ich protestiere!«
Der Patriarch brachte ihn mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen. Der Mönch senkte den Kopf und setzte sich wieder.
»Das wird ein Spaß, zwei Mönchen zuzuschauen, die sich öffentlich an den Kragen gehen«, sagte einer aus dem Volk.
»Ob man darauf Wetten abschließen kann?«, fragte ein anderer, und die Umstehenden lachten laut.
Der Patriarch winkte Giustiniani zu sich.
»Ein schlauer Einfall, Giustiniani«, sagte er leise zu ihm.
»Die Idee stammt nicht von mir«, erwiderte Jacopo Giustiniani und meinte Mercurio. Doch er wusste genau, dass der Patriarch an den Dogen dachte.
»Aber ich kann nicht zulassen, dass der Inquisitor und der Verteidiger sich vor aller Augen an den Kragen gehen«, sagte der Patriarch finster.
»Selbstverständlich nicht, Patriarch«, erklärte Giustiniani. »Deshalb habe ich ja an jemand Einfachen gedacht, einen vollkommen unbekannten Mönch, der unerfahren und ergeben ist.«
Der Patriarch lächelte zufrieden und entspannte sich. Es ging also nicht um Gerechtigkeit, sondern nur um Politik. »Ich freue mich feststellen zu können, dass der höchste venezianische Adel so vernünftig ist. Ihr habt mir einen gehörigen Schrecken eingejagt, das kann ich Euch versichern.«
Jacopo Giustiniani kniete vor ihm nieder und küsste seinen bischöflichen Ring vor dem auf der Piazzetta vor dem Dogenpalast versammelten Volk.
Der Patriarch seinerseits verneigte sich daraufhin vor dem Dogen. »Möge die Posse beginnen«, sagte er leise, und diesmal ließ er es sich gefallen, dass der Messknabe ihm den Schweiß von der Stirn wischte.
»Möge die Posse beginnen«, wiederholte Giustiniani seine Worte. »Im Namen unserer geliebten Republik Venedig.«
»Und der Heiligen Mutter Kirche«, fügte der Patriarch zufrieden hinzu.
»Hast du etwas damit zu tun?«, fragte Isacco Mercurio.
»Wie sollte ich?«, erwiderte Mercurio und zuckte die Schultern.
»Stimmt, wie könntest du an solch hochstehende Leute geraten?«, sagte Isacco. »Aber es sah doch
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