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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Tag.«
    »Ja … gleich …«

91
    D er Verteidiger hat das Wort«, verkündete der Gerichtsschreiber.
    Alle Augen richteten sich auf Pater Venceslao.
    Mercurio saß mit gesenktem Kopf da und hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Er rührte sich nicht.
    Selbst der Patriarch wandte sich ihm zu, und ebenso Giustiniani, in dessen geröteten Augen die Trauer über Scarabellos Tod stand.
    Mercurio bewegte sich immer noch nicht. Er schien nach Atem zu ringen.
    Zolfo, der in der ersten Reihe neben Zuan saß, sprang besorgt auf.
    »Setz dich, Junge«, ermahnte Zuan ihn leise, ohne seinen angespannten Blick von Mercurio abzuwenden, und Zolfo sank wieder auf die Bank.
    Durch die Menge ging ein leises Raunen.
    »Pater Venceslao«, fuhr ihn der Patriarch ungeduldig an. »Was ist nun?«
    Mercurio biss die Zähne zusammen. Er hob den Kopf und nickte mühsam. Dann klammerte er sich am Rand des Tisches fest und zog sich hoch. Die Anstrengung nahm ihm den Atem. Sein Blick wanderte zu Giuditta, die ihm verstohlen zulächelte.
    Nein, sie ist völlig ahnungslos, dachte Mercurio beruhigt und lächelte zurück, wobei er seine von Pech geschwärzten Zähne entblößte. Dann wandte er sich der Menge zu. Er sah, dass Zolfo besorgt zu ihm hinüberschaute, und nickte ihm wie auch Zuan zuversichtlich zu. Doch als er einen Schritt vorwärtstat, spürte er, dass seine Beine ihn kaum noch trugen. Die Wunde an seiner Seite, die Zuan am Morgen fest verbunden hatte, schmerzte heftig. Der alte Mann hatte ihm gesagt, er könne in diesem Zustand unmöglich am Prozess teilnehmen, doch Mercurio hatte ihn nur mit finsterer Entschlossenheit angesehen und den Kopf geschüttelt. »Wenn du versuchst, mich aufzuhalten, werde ich mit all meinen verbliebenen Kräften dein Schiff versenken, alter Mann«, hatte er ihm gedroht. Mühevoll hatte er sich wieder in Pater Venceslao verwandelt und sich von Tonio und Berto zum Konvent der Heiligen Kosmas und Damian rudern lassen.
    Er tat noch einen Schritt, den Blick immer auf die Menge gerichtet.
    Der Heilige hatte eine hervorragende Schlussrede gehalten. Obwohl er wenig in der Hand hatte, war es ihm gelungen, in jedem der Zuhörer Zweifel zu wecken. Heute Morgen noch, beim Betreten des Saals, hatte Mercurio ganz deutlich gespürt, dass er den Sieg beinahe in Händen hielt. Das Volk wünschte sich, dass Giuditta gerettet würde, vielleicht auch, um es den Mächtigen zu zeigen, um sich gegen ein Urteil zu wehren, das bereits von vornherein feststand. Doch die Schlussrede des Heiligen war so beseelt, so leidenschaftlich und packend gewesen, dass die Leute jetzt hin- und hergerissen waren.
    Mercurio lächelte die Menschen an und gab sich unbeeindruckt. Zuan hatte ihm gesagt, er solle sein Herz sprechen lassen. Ob er das schaffte? Er wusste ja nicht einmal, ob er in der Lage war, auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Das Lächeln auf seinen Lippen erlosch. Er schwitzte und befürchtete, dass der Schweiß seine Schminke auflösen würde. »Bruder Amadeo …«, begann er.
    »Lauter!«, schrie jemand mitten im Saal.
    Mercurio fühlte, wie die Verzweiflung ihn überwältigte. Er klammerte sich am Rand des Tisches fest. Hin und wieder trübte sich seine Sicht. Er sah zu Giuditta hinüber. Nun wirkte auch sie besorgt um ihn. Obwohl sie nichts von der Verletzung wusste, schien sie doch zu ahnen, dass etwas nicht stimmte. Mercurio erschrak. Er durfte einfach nicht aufgeben. Entschlossen nahm er eine Hand vom Tisch und tat einen Schritt auf die Menge zu. Sogleich spürte er wieder einen stechenden Schmerz in seiner Seite. Er stöhnte unterdrückt und biss die Zähne zusammen.
    »Bruder Amadeo«, wiederholte er und zwang sich lauter zu sprechen, was ihm einen weiteren schmerzhaften Stich in die Seite einbrachte, »hat so gut gesprochen, dass ich die Rede am liebsten noch einmal von vorn hören würde.« Er schüttelte den Kopf, wie um wach zu werden. »Er hat mich eingelullt … mit seinen Worten.«
    Die Menge begriff nicht, worauf er hinauswollte, und wartete gespannt auf eine Erklärung.
    »Wirklich«, fuhr Mercurio fort. »Er hat mich eingelullt …« Er zeigte auf den Platz, an dem er vorher gesessen hatte. »Ihr habt doch selbst gesehen, dass ich eingeschlafen bin.«
    Die Menge lachte belustigt.
    »Nein, das war kein Spaß …«, erklärte Mercurio. Je mehr er sich bewegte, desto weiter öffnete sich die Wunde an seiner Seite. Er biss sich vor Schmerz auf die Lippen. Niemand durfte seine Verletzung bemerken. »Ich muss

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