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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Euch meine ehrliche Bewunderung aussprechen, Bruder Amadeo«, sagte er zu dem Heiligen, der ihn hasserfüllt anstarrte. Dann wandte Mercurio sich wieder der Menge zu, während er zugleich zu Giudittas Käfig ging und sich dort an einem der Gitterstäbe festklammerte, damit er nicht umfiel. »Überlegt doch nur, was für ein unglaubliches Gedächtnis er hat«, erklärte er. »All diese Zeugen, deren Aussagen er uns noch einmal in Erinnerung gerufen hat …« Wieder richtete er das Wort an den Heiligen. »Danke, von ganzem Herzen danke!«, sagte er zu ihm und wandte sich dann kopfschüttelnd der Menge zu. »Ich dagegen kann mich an keinen einzigen dieser unnützen Zeugen erinnern …«
    Wieder lachte die Menge schallend.
    »Genau so, Junge«, flüsterte Zuan.
    Zolfo hatte Fra’ Amadeo im Blick. Sie hatten sich schon vorher gesehen, jedoch hatte der Heilige ihn nicht einmal gegrüßt. Doch das hatte Zolfo überhaupt nichts ausgemacht. Der Heilige bedeutete ihm nichts mehr, denn jetzt hatte er sein Leben wieder selbst in die Hand genommen. Als sie den Leichnam des jüdischen Kaufmanns in der Lagune versenkt hatten, hatte Zolfo beschlossen, das nun die Gelegenheit gekommen war, ein neues Leben anzufangen.
    »Mercurio ist der Beste«, sagte er stolz zu Zuan.
    Der alte Mann sah ihn an und nickte stumm.
    Mercurio schwieg inzwischen wieder und ließ seinen Blick auf der Menge ruhen. Der Schmerz überfiel ihn nun so heftig, dass er kaum Luft bekam. Er blieb mit offenem Mund stehen und hoffte, er würde die gespannte Aufmerksamkeit aufrechterhalten können, bis er wieder in der Lage war, etwas zu sagen. Mit einer Hand klammerte er sich an die Gitterstäbe des Käfigs. Mit dem Zeigefinger der anderen deutete er in die Menge, wanderte von einem zum anderen, als würde dies irgendetwas bedeuten.
    Und die Menge folgte seinem Finger schweigend und wie gebannt.
    »Welche Zeugin ist uns denn am besten in Erinnerung geblieben?«, stieß Mercurio schließlich unter größter Anstrengung hervor.
    Viele unter den Zuhörern nickten, und einige nannten sogar ihren Namen.
    Mercurio deutete auf eine Frau aus der Menge, die gerade etwas vor sich hin gesagt hatte, und forderte sie stumm auf, das Gesagte zu wiederholen.
    »Die Geliebte des Fürsten Contarini«, sagte sie. »Ach nein …«, verbesserte sie sich dann und schlug sich übertrieben heftig an die Stirn. »Sie war ja nur eine Magd des Fürsten.«
    Die Menge lachte laut auf.
    Der Patriarch wurde vor Wut hochrot im Gesicht und verkrallte beide Hände in die Armlehnen seines vergoldeten Sessels.
    »Da ist sie ja!«, rief einer der Zuhörer und zeigte auf eine Ecke des Kapitelsaals.
    Alle wandten sich um. Einige Leute standen auf, stellten sich auf die Zehenspitzen oder reckten den Hals. Selbst der Patriarch und sein Gefolge auf der Tribüne sahen hinüber, und ebenso der Heilige, Zolfo und Mercurio.
    Benedetta, die sich an eine Wand gedrückt hatte, spürte, dass plötzlich alle Augen auf sie gerichtet waren. Sie öffnete den Mund und sah Giuditta an, als müsste sie ihr etwas sagen.
    Mercurio verkrampfte sich.
    Doch in Benedettas Augen war kein Hass zu lesen. Sie sagte auch nichts, sondern verließ gebeugt und mit eingezogenem Kopf in ihren einfachen Kleidern den Kapitelsaal, während alle ihr mit Blicken folgten.
    Zolfo zog es das Herz zusammen. Er stand hastig auf und bahnte sich dann gewaltsam einen Weg durch die laut tuschelnde Menge, während der Gerichtsschreiber rief: »Ruhe, Ruhe im Gericht!« An der Tür suchten Zolfos Augen Benedetta unter den Leuten, die sich auf dem Vorplatz drängten, aber er fand sie nicht. Daher kehrte er niedergeschlagen in den Kapitelsaal zurück und setzte sich wieder neben Zuan.
    »Kennst du sie?«, fragte der alte Mann ihn.
    Zolfo sah ihn an. »Vielleicht …«, flüsterte er mit wehmütiger Stimme. Dann nickte er gedankenverloren und wiederholte: »Vielleicht …«
    »Ruhe! Ruhe im Saal!«, rief der Gerichtsschreiber noch einmal, da die Menge immer noch aufgewühlt war.
    Mercurio hielt sich inzwischen mit beiden Händen an den Stangen von Giudittas Käfig fest. Er spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Die Stimme des Gerichtsschreibers hallte dröhnend in seinen Ohren. Die Gesichter der Leute verschwammen vor seinen Augen. Er bekam kaum noch Luft, und sein Herzschlag ließ nach. Der Schweiß lief ihm in Strömen über die Stirn und löste allmählich die Schminke auf. Das Sonnenlicht, das durch die hohen, spitzbogigen Fenster hereinfiel, stach ihm

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