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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Hauptmann und leerte mit einem einzigen Schluck seinen Kelch zur Hälfte. »Nimm’s mir nicht übel, halb garer Priester. Ich bin Soldat, also darf ich schon von Berufs wegen nicht alles so ernst nehmen. Ich hab nichts gegen dich und auch nicht gegen die Kirche.«
    Mercurio trank lächelnd seinen Wein.
    »Hast du den Jungen im Griff?«
    Mercurio nickte, obwohl er keineswegs überzeugt war.
    »Morgen marschieren wir los, und übermorgen werden wir Venedig erreichen«, sagte der Hauptmann. »Bei allem Respekt für dein Keuschheitsgelübde, mein halb garer Priester, wenn wir dort ankommen, brauche ich nur noch zwei Dinge: ein weiches Bett und eine Frau, dann geht’s mir wieder gut.« Er lachte dröhnend. Ehe er ging, sagte er noch: »Der Doktor ist fertig.« Dann wurde er ernst, senkte den Kopf und fügte mit leiser Stimme hinzu: »Ich konnte ihre Schreie nicht mehr ertragen. Ich weiß nicht, warum, aber es ist anders als in der Schlacht.« Dann straffte er sich, versetzte Mercurio einen derben Schlag auf die Schulter und wandte sich zum Gehen.
    »Hauptmann …«, begann Mercurio, als würden die Worte von selbst aus seinem Mund kommen. »Was fühlt man, wenn man jemanden tötet?« Dabei zitterte seine Stimme unmerklich.
    »Nichts.«
    »Nichts? Auch nicht beim ersten Mal?«
    »Daran erinnere ich mich nicht mehr. Es ist zu lange her. Warum fragst du?«
    »Einfach so …«
    Der Hauptmann sah ihn forschend an. »Hast du mir etwas zu sagen?«
    Mercurio verspürte das Bedürfnis, seine Last mit jemandem zu teilen. Aber der Hauptmann war Soldat und würde ihn danach vielleicht verhaften.
    »Gibt es einen … besonderen Grund, warum du das Priestergewand gewählt hast, mein Junge?«
    Mercurio atmete tief durch. Der Hauptmann war nicht der rechte Mann, um sich ihm anzuvertrauen. Zögernd drehte er den Weinkelch zwischen den Fingern.
    »Meine Mutter hat … getrunken. Als ihr Bauch anschwoll, erinnerte sie sich nicht mehr, wer mein Vater war. Sie übergab mich den Mönchen … Deshalb bin ich Priester geworden. Ich kenne nichts anderes, das ist alles.«
    Der Hauptmann betrachtete ihn aufmerksam. Dann nickte er und entfernte sich.
    Mercurio blieb allein zurück. Das bisschen Wein, das er getrunken hatte, stieg ihm schon zu Kopf. Als er merkte, wie sein Magen aufbegehrte, aß er hastig den letzten Rest Wurst und Schwarzbrot. Für einen Moment schloss er die Augen. In der Dunkelheit drängten sich die Bilder der verwundeten Soldaten, der Geruch nach Blut und der Anblick des aufgeschnittenen und zugenähten Fleisches in seine Gedanken. Die eher überraschten als schmerzerfüllten Blicke der Soldaten, die Todesangst in ihren Augen. Er sprang auf, denn er wollte nicht allein dort auf dem Feld sitzen. Entschlossenen Schrittes näherte er sich dem Proviantwagen.
    Benedetta und Zolfo saßen auf der untersten Stufe des Treppchens.
    »Hast du dich beruhigt?«, fragte er Zolfo ohne jeden Vorwurf.
    Der sah ihn an. Seine Augen waren gerötet, mehr denn je wirkte er wie ein kleiner Junge. »Ich will nicht unter einem Dach mit diesen Juden schlafen«, sagte er. »Ich hasse alle Juden.«
    Mercurio kletterte die Treppe hoch. »Ich hole dir eine Decke.« Als er mit der Decke in der Hand wieder an der Tür erschien, sagte er zu Benedetta: »Der Hauptmann will nicht, dass du draußen herumläufst, vor allem nicht nachts.«
    Benedetta nickte. »Ich komme gleich.«
    Mercurio sah Zolfo an: »Gute Nacht.«
    Zolfo zog die Nase hoch, nahm die Decke und legte sie sich über die Schultern.
    Mercurio hielt ihm noch den Kelch mit dem Rest Wein hin. »Der wird dich wärmen.«
    Zolfo nahm den Kelch und stand kurz davor, erneut in Tränen auszubrechen. Doch er unterdrückte sie und trank den Wein auf einen Zug aus. Danach musste er husten.
    Mercurio betrat den Wagen. Die Luft im Inneren war lau und roch angenehm nach Essen. Er sah Isacco und seine Tochter an, die sich in die Arme des Vaters geschmiegt hatte. »Morgen brechen wir auf«, sagte er zu dem Mann, doch seine Augen wanderten immer wieder zu dessen Tochter zurück. Mädchen hatten ihn nie interessiert, und die Erwachsenen sagten, dass sie nur Ärger machen. Doch dieses Mädchen hatte etwas an sich, von dem er sich nicht zu lösen vermochte.
    »Gut«, erwiderte Isacco.
    »Der Hauptmann hat gesagt, dass wir in zwei Tagen Venedig erreichen«, fügte Mercurio hinzu, um die peinliche Stille zu durchbrechen. Oder vielleicht wollte er auch nur dem Mädchen zulächeln. Obwohl er wusste, dass er sie noch nie in

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