Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
wieselähnliche Mann zu ihm kam, befahl er ihm: »Nimm diesen Priester mit.«
»Kommt, Vater …«, sagte Donnola zunächst. Doch der vermeintliche Priester war so jung, daher verbesserte er sich: »Also, mein Sohn …«
»Nenn ihn lieber Priester, Donnola«, sagte der Hauptmann. »Sonst rufst du ihn bald noch Heiliger Geist.«
Die Soldaten lachten schallend laut. Dann stiegen Donnola und Mercurio auf den Karren, wo Isacco schon wieder bei der Arbeit war.
Mercurio kniete sich neben den Mann, dem der Doktor den Verband wechselte, und betete: »Heiliger Erzengel Michael, wir bitten dich, dass du dich mit dem Chor der Erzengel und all den neun Chören der Engel um diesen Mann in seinem gegenwärtigen Leben kümmerst, bis er, immer unter deinem Schutz, Bezwinger Satans, in den Genuss der göttlichen Güte kommen wird und mit dir ins Heilige Paradies einzieht.«
»Amen«, flüsterte der Verwundete, und sein Gesicht entspannte sich. »Danke, Vater.«
Isacco stand auf und ging zu einem anderen Soldaten, der bewusstlos war. Mercurio kniete sich neben ihn.
»Du bist gut, mein Junge«, flüsterte Isacco ihm zu. »Aber mein Blick ist scharf und ich weiß, dass du nicht der bist, für den du dich ausgibst.«
Mercurio erstarrte kaum merklich und sah ihn fragend an.
»Du bist ein Betrüger«, sagte Isacco leise.
Mercurio antwortete nicht. Er sah den Arzt nur weiter wortlos an.
»Aber ich werde nichts sagen«, fuhr der Arzt leise fort. »Diese armen Teufel brauchen einen Priester.«
»Danke«, erwiderte Mercurio. Auf seinem Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns. »Ich war übrigens im Wald, als Ihr euch entfernt habt, um Euch zu erleichtern«, sagte er.
Diesmal starrte Isacco ihn schweigend an.
»Ich werde auch nichts sagen.« Mercurio lächelte noch breiter. »Diese armen Teufel brauchen einen Arzt.«
Isacco sah den jungen Betrüger forschend an. Das war keine Drohung. Der andere wollte bloß klarstellen, dass er kein Dummkopf war, und das hatte er damit erfolgreich bewiesen. Dann brach Isacco in herzhaftes Gelächter aus.
Und Mercurio stimmte mit ein.
»Was gibt es da zu lachen?«, fragte Donnola.
Isacco und Mercurio antworteten ihm nicht. Sie sahen einander an und verstanden sich.
»Nun denn, tun wir unsere Arbeit«, sagte Isacco dann.
»Ja«, bekräftigte Mercurio, »tun wir unsere Arbeit.«
10
B enedetta und Zolfo hatte man zum Proviantkarren gebracht.
»Lauft nicht im Lager umher«, hatte ihnen der Hauptmann noch mit auf den Weg gegeben, dabei aber nur Augen für Benedetta gehabt.
Sie hatte stumm genickt. Als der Hauptmann gegangen war, stiegen die beiden die Treppe hinauf.
Der Karren war groß und ganz aus Holz, auch die Wände und das Dach. Das Tageslicht fiel nur spärlich durch zwei Fensteröffnungen an den Seiten hinein. Das Ganze wirkte wie ein kleines Haus auf Rädern. Überall waren dunkle Fässchen und Truhen aufgestapelt. In der Mitte stand ein riesiger dicker Tonkrug, der von einem Netz aus groben Seilen gehalten wurde, das wiederum an vier im Boden und im Dach verankerten Pfählen befestigt war. Im Krieg wurde der Wein besser geschützt als das Essen.
Benedetta und Zolfo sahen sich um und entdeckten zwischen zwei Reihen aufgestapelter Truhen Giuditta. Das Mädchen erwiderte ihren fragenden Blick mit einem unsicheren Lächeln. Dann trat sie einen Schritt vor und nahm einen abgenutzten Teller aus dünnem Metall, den sie den beiden Neuankömmlingen hinhielt.
»Gepökeltes Rindfleisch und Schwarzbrot«, sagte sie. »Esst.« Und dann zeigte sie wie eine gute Hausherrin auf die beiden improvisierten Strohlager auf dem Boden. »Wir haben auch einen kleinen Ofen. Setzt euch doch.«
Benedetta fragte lächelnd: »Wer bist du?«
»Die Tochter des Doktors.«
»Ich hab Hunger.« Zolfo machte sich über den Teller her und setzte sich neben den Ofen. Beherzt biss er in das Pökelfleisch. »Gibt es keine Würste?«, fragte er mit vollem Mund und richtete seinen Blick auf Giuditta.
Giuditta zuckte mit den Achseln.
»Haben die hier keine Würste?«, beharrte Zolfo.
»Ich weiß nicht«, antwortete Giuditta und hob noch einmal die Schultern.
»Bist du etwa Jüdin?«, fragte Zolfo lachend und versenkte den Kopf im Teller. Doch dann hielt er inne und starrte Giuditta an, deren Augen nun noch dunkler und größer wirkten als sonst. Zolfos Blick wanderte schnell durch den Wagen, und er hörte auf zu kauen. Als er zwei Reisesäcke entdeckte, stellte er den Teller ab, streckte die Hand nach dem von
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